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Alles unter Kontrolle
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 20.04.2017
Regisseur: Philippe de Chauveron
Schauspieler: Ary Abittan, Medi Sadoun, Cyril Lecomte
Entstehungszeitraum: 2016
Land: F
Freigabealter: 12
Verleih: Neue Visionen
Laufzeit: 91 Min.
Abschiebung auf Abwegen
Zwei alte Männer, die sich lange nicht riechen konnten, haben im französischen Komödien-Hit "Monsieur Claude und seine Töchter" das Happy End besiegelt. Eine Wendung, die sich recht bald hat ablesen lassen. Bei seinem neuen Werk lässt sich Regisseur Philippe de Chauveron nicht in die Karten gucken. "Alles unter Kontrolle" präsentiert sich so wendungsreich, dass Voraussagen zum Verlauf kaum möglich sind. Der Witz sprudelt schärfer und reichhaltiger als in "Monsieur Claude", obwohl es um ein weitaus brisanteres Thema geht als die Eheschließung zwischen Schwarz und Weiß in einigermaßen bis überaus wohlsituierten Kreisen: die zwangsweise Abschiebung illegaler Einwanderer und deren erbitterter Widerstand dagegen. Zu lachen gibt es viel, aber um den Preis, sich zu einer schonungslosen Welt zu bekennen, in der jeder sich selbst der Nächste ist.

Beruflich sind für José Fernandez (Ary Abittan) die Aussichten durchaus rosig. Den Job als "Flugzeug-Bulle", der abgeschobene illegale Einwander begleitet, ist er bald los. Die Bandenbekämpfung winkt! Privat läuft es für ihn hingegen nicht so prächtig. Seine Freundin Maria (Reem Kherici) hat ihn vor die Tür gesetzt. Josés Schwerenöter-Kumpel und Kollege Guy (Cyril Lecomte) ist daran nicht ganz unschuldig. Als Maria per Skype mit José an der Elfenbeinküste kommunziert hat, ist der Eindruck entstanden, dass die Polizisten sich mit zwei Stewardessen vergnügt hätten.

Auch entpuppt sich der letzte Abschiebehäftling, den José vor seiner Beförderung nach Kabul eskortieren soll, als richtige Plage. Karzaoui (Medi Sadoun) behauptet, weder Afghane zu sein noch eine alte Frau beraubt zu haben, wie ihm vorgeworfen wird. Im Flugzeug kotzt Karzaoui die Hose von José voll und versucht mit Provokationen, einen Aufruhr unter den Passagieren hervorzurufen. Aber der Flug erreicht Kabul auch so nicht. Wegen eines Triebwerkschadens muss die Maschine auf Malta zwischenlanden. Das sonnige Ferienparadies mit den vielen hübschen Frauen ist für José und besonders für Guy eine erotische Versuchung, für Karzaoui hingegen, einmal der Handschellen ledig, Gelegenheit zur Flucht.

"Alles unter Kontrolle" richtet sich turbulent zwischen Situations- und Charakterkomik ein. Das Katz-und-Maus-Spiel - Karzaoui sagt "Katz-und-Ratte" - zwischen Räuber und Gendarm verwebt sich zwanglos mit dem sanften Abgleiten der Polizisten in promiske Phantasien. Begleiteffekt ist ein attraktiver Tempowechsel zwischen ruhigen und rasanten Passagen. Chauverons Figuren und ihre Darsteller exzellieren darin, niemals karikaturhaft zu übertreiben, sondern eine scheinbar ganz alltägliche Absurdität und Idiotie mit ihren primitiven Gelüsten und hochherzigen Idealen auszudrücken. Das ist wirkungsvoll genug!

Der bis zur Cholerik übereifrig seines Amtes waltende José, Guys vergnügungssüchtige Leben-und-Leben-Lassen-Philosophie und der um keinen schäbigen Trick verlegene Karzaoui bilden eine explosive Mischung, die bei einem verwicklungsreichen Nachtclubbesuch hochgeht. Das Thema Abschiebung ist derweil weder Anlass für billige Gags noch für den erhobenen Zeigefinger. Humor und eine bittere Wendung für José im letzten Drittel sind dazu da, eine vielschichtige Problematik mit teuflischen Mechanismen nahezubringen, die Menschen zu Schuften macht und keine Sieger kennt. Dass bis auf Marias kleiner Sohn niemand aus dem Film wirklich sympathisch erscheint, mag hingegen das Publikum als Schwäche empfinden.

Von Andreas Günther