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Die Lebenden reparieren
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 07.12.2017
Regisseur: Katell Quillévéré
Schauspieler: Tahar Rahim, Emmanuelle Seigner, Anne Dorval
Entstehungszeitraum: 2016
Land: F / B
Freigabealter: 12
Verleih: Wild Bunch
Laufzeit: 104 Min.
Schicksalhaft verbunden
Wie man eine mit starken Emotionen aufgeladene Geschichte inszeniert, ohne in Plattitüden und billig-rührselige Muster zu verfallen, zeigte die französische Filmemacherin Katell Quillévéré zuletzt 2013 in ihrem unkonventionellen Familiendrama "Die unerschütterliche Liebe der Suzanne". Ihre kluge, ungekünstelte Herangehensweise schlägt sich auch in "Die Lebenden reparieren" nieder: einer Adaption des gleichnamigen Romans von Maylis de Kerangal, der das Thema Organspende aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet und verschiedene Schicksale zu einer aufwühlenden Erzählung zusammenführt.

Dass schon am Anfang ein schreckliches Unglück auf den Zuschauer wartet, ahnt man zunächst nicht. In beschwingten, nach Abenteuerlust duftenden Bildern fängt die Regisseurin den morgendlichen Aufbruch des Teenagers Simon (Gabin Verdet) ein, der mit seinen Freunden in der Umgebung der Hafenstadt Le Havre surfen gehen will. Freiheit und Begeisterung liegen in der Luft, wenn sich die jungen Männer in die tosenden Wellen stürzen und dabei von der Kamera aus nächster Nähe begleitet werden. Aufregend gefilmte, betörend schöne Impressionen, die die anschließende Tragödie umso grausamer erscheinen lassen.

Auf dem Heimweg haben die Jugendlichen einen Autounfall, den Simons Kumpel verhältnismäßig glimpflich überstehen, während er selbst mit einem Schädelhirntrauma im Koma landet. Wie seine Eltern Marianne (Emmanuelle Seigner) und Vincent (Kool Shen) erfahren, sind die Schäden so gravierend, dass der Junge nur noch von den Maschinen am Leben gehalten wird. Eine erschütternde Nachricht, die das seit Längerem getrennte Paar schon bald vor eine schwierige Entscheidung stellt. Im entfernten Paris begreift die herzkranke Claire (Anne Dorval) unterdessen, dass sie dringend ein Spenderorgan benötigt. Besonders dem jüngeren ihrer beiden Söhne verheimlicht sie den Ernst der Lage.

Zwei Familien mit jeweils eigenen Sorgen und Problemen stehen im Mittelpunkt dieses außergewöhnlichen Films, der behutsam davon erzählt, wie eng das Leben mit dem Tod verknüpft ist. Und wie nah Hoffnung und Trauer manchmal beieinanderliegen. In vielen Szenen gelingt es Quillévéré, mit kleinen Gesten und Blicken die turbulente Gefühlswelt ihrer Protagonisten aufzudecken und deren Beziehungen auf erstaunlich komplexe Weise zu ergründen. Große Reden braucht es dabei nicht, zumal die Darsteller den unaufdringlichen Ansatz der Regisseurin perfekt in ihr Zusammenspiel integrieren. Selten ging es in letzter Zeit auf der Kinoleinwand so natürlich und wahrhaftig menschlich zu wie in "Die Lebenden reparieren".

Ihr Gespür für spannende Zwischentöne beweist Quillévéré auch dadurch, dass sie sich wiederholt der stressigen, komplizierten, kräftezehrenden Arbeit des medizinischen Personals widmet. An beiden Handlungsorten geraten diverse Figuren in den Blick. Und zuweilen beobachtet der Film ihre professionellen Handgriffe - etwa bei einer ausgedehnten Operation - mit beinahe dokumentarisch anmutender Genauigkeit. Eine Regie-Entscheidung, die ganz bestimmt auch als Verneigung vor den großen Leistungen von Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern in einem immer brüchigeren Gesundheitssystem gedacht ist.

Will man die Qualität der Romanadaption auf den Punkt bringen, reicht es schon, sich zwei besondere Momente vor Augen zu halten: Kurz vor dem tragischen Unfall lehnt sich Simon an einen seiner Freunde an. Ein berührendes, friedliches Bild, das Quillévéré ganz am Ende noch einmal bei Claires Söhnen aufgreift. Prägnant und doch zurückhaltend bündelt sie so die ganze Bandbreite der im Film beschworenen Emotionen.

Von Christopher Diekhaus