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Suspiria
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 15.11.2018
Regisseur: Luca Guadagnino
Schauspieler: Dakota Johnson, Tilda Swinton, Chloë Grace Moretz
Entstehungszeitraum: 2018
Land: USA / I
Freigabealter: 16
Verleih: Capelight / Koch Films
Laufzeit: 152 Min.
Hexen im Deutschen Herbst
Im Zuge der Entwicklung eines Remakes seines kultisch verehrten Horrorstreifens "Suspiria" sei er selbst nie zurate gezogen worden, ließ der Italiener Dario Argento immer dann durchblicken, wenn er in Interviews zur Klassiker-Neuauflage befragt wurde. Mit Blick auf den fertigen Film verwundert es keineswegs, dass der Ursprungsschöpfer gänzlich außen vor war. Immerhin legt sein Landsmann Luca Guadagnino, der zuletzt mit dem Liebesdrama "Call Me by Your Name" für Furore sorgen konnte, eine eigenständige, vom Original stark abweichende Regiearbeit vor, bei der lediglich Grundzüge von Argentos Hexen-Mär übrig bleiben.

Angesiedelt ist der neue "Suspiria" im Jahr 1977, genau zu der Zeit, als der alte Film das Licht der Welt erblickte. Statt Freiburg im Breisgau dient das geteilte Berlin als zentraler Handlungsort, wohin es die junge, aus der amerikanischen Provinz stammende Susie Bannion (Dakota Johnson) verschlägt. Am berühmten Markos Tanzensemble möchte sie unbedingt einen Platz ergattern und hat Glück, dass mit Patricia (Chloë Grace Moretz) kurz zuvor ein anderes Mitglied spurlos verschwunden ist. Beim Vortanzen kann Susie die künstlerische Leiterin Madame Blanc (Tilda Swinton) sofort überzeugen und darf sich schließlich über ihre Aufnahme freuen.

Parallel erzählt die Neuinterpretation, die Drehbuchautor David Kajganich ("A Bigger Splash") zu Papier brachte, von einem gebrechlichen Psychoanalytiker namens Josef Klemperer (unter einer aufwendigen Maske ebenfalls gespielt von Tilda Swinton). Gleich zu Beginn taucht in seinem Büro die vollkommen aufgelöste Patricia auf und behauptet, die Tanzakademie werde von einem Hexenzirkel geleitet. Ein seltsames Treffen, das den zunächst skeptischen Seelenarzt zunehmend misstrauisch macht.

Anders als Argento, der eine nicht sonderlich komplexe Horrorgeschichte präsentierte, ergänzen Guadagnino und Kajganich ihre Version um markante Nebenstränge und betten das Geschehen ganz konkret in die blutigen Ereignisse des Deutschen Herbstes ein. Immer wieder gibt es Hinweise auf den Terror, mit dem die RAF im Jahr 1977 das Land überzog - was der Film schließlich nutzt, um über Schuld und die Konflikte zwischen den Generationen zu sinnieren. Manche Gedanken und Ideen werden sicherlich etwas bemüht vorgetragen. Der Überbau, den das Remake durch die historische Verortung erhält, ist aber dennoch reizvoll.

Auch deshalb, weil der Regisseur die bedrückende Stimmung der damaligen Zeit in seine Bildgestaltung überführt. Während Argento auf knallige, surreale Farbenspiele setzte, beschwört Guadagnino eine schmuddelig-winterliche Ästhetik, die Berlin deprimierend trostlos erscheinen lässt.

Dass in der Tanzakademie unheilvolle Kräfte walten, daran gibt es schon nach dem ersten Drittel keinen Zweifel. Patricias panischer Auftritt bei Dr. Klemperer gibt die Richtung vor und wird recht schnell von den ominösen Gesprächen der Schulmitarbeiterinnen bestätigt. Die manchmal geisterhaft irrlichternde, plötzlich umschwenkende Kamera und einige verstörende Albträume Susies tragen entscheidend zum langsam größer werdenden Unbehagen bei. Den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen allerdings die stark choreografierten Tanzsequenzen, die von Anfang an etwas Aggressives, merkwürdig Rituelles haben. Besonders schmerzhaft ist die Passage, in der Susies ruckartige Bewegungen dazu führen, dass sich der Körper einer Kommilitonin an einem anderen Ort auf groteske Weise verdreht. Grauenvolle Momente, die ebenso gut aus einem Film von David Cronenberg, einem Meister des Body Horror, stammen könnten.

Verglichen mit den durchgängigen Exzessen des Originals mutet Guadagninos Klassiker-Auffrischung trotz der fulminanten Tanzeinlagen beinahe nüchtern an. Erst im Finale entfesselt der Italiener ein bizarr-ausuferndes Blutbad, das unter dem Strich etwas selbstzweckhaft daherkommt. Fast hat es den Anschein, als wolle der Regisseur sein Publikum für den lange Zeit eher schleichenden Schrecken nun mit einem großen Knall entschädigen.

Auch wenn man das Kino mit gemischten Gefühlen verlässt, ist der neue "Suspiria" ein eigenwillig-reizvoller Horrorthriller, der nicht zuletzt von seinen prägnanten Schauspielleistungen lebt. Besonders hervorzuheben ist neben der überraschend ausdrucksstarken Dakota Johnson die bemerkenswert wandelbare Tilda Swinton, der gegen Ende sogar eine dritte Rolle zufällt. Wer sich von ihrer Darstellungskunst in vollem Umfang überzeugen will, sollte den Film unbedingt im Originalton schauen. Die Oscar-Preisträgerin bestreitet als Dr. Klemperer nämlich zahlreiche Szenen auf Deutsch.

Von Christopher Diekhaus