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"Und der Zukunft zugewandt"
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 05.09.2019
Regisseur: Bernd Böhlich
Schauspieler: Alexandra Maria Lara, Karoline Eichhorn, Robert Stadlober
Entstehungszeitraum: 2018
Land: D
Freigabealter: 12
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Laufzeit: 108 Min.
Gefangen in der Freiheit
"Die Wahrheit ist, was unserer Sache nützt": Das ist ein Satz, mit dem man sich heutzutage häufiger auseinandersetzen muss. Alternative Fakten sind freilich keine Erfindung des Internetzeitalters und moderner Despoten auf allen Seiten des Atlantiks. Alternative Fakten gab's schon immer. Auch in der DDR waren sie beliebt. Dort spielt "Und der Zukunft zugewandt": Filmemacher Bernd Böhlich, selbst in der DDR geboren, erzählt in seinem Drama von einem Kapitel der ostdeutschen Geschichte, das die Genossen dereinst erfolgreich totschwiegen. Die Wahrheit passte einfach nicht ins System.

Also ist Antonia Berger (Alexandra Maria Lara) zum Schweigen verurteilt. Die überzeugte Kommunistin kehrt Anfang der 1950er-Jahre aus einem sibirischen Gulag in die DDR zurück. Sie war einst nach Moskau emigriert und hatte mitgeholfen, die Sowjetunion aufzubauen. Dann aber wurde sie im Zuge der Stalinschen Säuberungen in ein Arbeitslager gesperrt und musste erleben, wie ihr Mann erschossen wurde, weil er seine Tochter an ihrem Geburtstag heimlich besuchte.

Das sind die Fakten im Leben von Frau Berger. Sie ist eins von Millionen von Opfern, denen unter fadenscheinigen Begründungen in der Sowjetunion der Prozess gemacht worden war. Joseph Stalin hatte sich zwischen 1936 und 1938 (sowie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs) Gegner und kritischer Geister entledigt und den Kommunismus seine überzeugtesten Anhänger fressen lassen.

Schweigen für die große Lüge

Davon will man, davon darf man in der DDR nichts wissen. Der junge Staat wagte das Experiment Sozialismus. Als Antonia dort ankommt, wird ihr gesagt, dass die DDR wie ein kleines Kind sei, gerade mal drei Jahre alt. Man muss es, egal, was es gerade anstellt, lieben und beschützen, damit es wachsen kann. Das sagt sich für einen SED-Funktionär, der nicht jahrelang in einem Gulag schuften musste, natürlich leicht.

Um es Antonia und anderen Rückkehrenden einfacher zu machen, werden sie gut versorgt: Sie bekommen eine Arbeit, eine schöne Wohnung, eines der ersten Fernsehgeräte. Antonias kranke Tochter wird von Konrad (Robert Stadlober) behandelt, dem besten Arzt der Stadt. Die Partei kümmert sich. Aber sie sagt auch: "Es geht keinen etwas an, wo ihr herkommt." Die wiedererlangte Freiheit ist nur eine vermeintliche und Antonia immer noch gefangen: Sie darf niemandem sagen, was sie im großen Bruderland durchlitten hat.

Immer bereit zu leiden

Was macht man in so einer Situation? Was macht ein Mensch, der an ein System glaubt, aber weiß, dass es im Inneren verkommen ist? Diese Ambivalenz beschäftigt Regisseur Bernd Böhlich ("Krauses Hoffnung"), er versucht diesen Zwiespalt zu ergründen, in dem jemand steckt, der wider besseres Wissen an einem Versprechen festhält.

Das gelingt ihm nur zum Teil: Die Inszenierung ist mitsamt zarter Liebesgeschichte konventionell, die Dialoge sind hochschwanger von lauter Bedeutsamkeit: "Ich liebe die Sowjetunion, aber Unrecht bleibt Unrecht", protestiert eine ehemalige Mitgefangene und legt ein "Was soll denn das für ein Sozialismus werden" nach. Antonia selbst sagt nicht viel, sie beobachtet und lässt den real existieren Sozialismus gewähren. Ihr Leben passiert ihr einfach, und das macht den Film ziemlich eintönig.

Dass "Und der Zukunft zugewandt" dennoch funktioniert, liegt einerseits an der Emsigkeit, mit der sich die Ausstatter ans Werk gemacht haben, um die frühe DDR in vielen Details auferstehen zu lassen. Andererseits ist da Böhlichs Sinn für die Alltäglichkeit, die seinen Film aus zeitgeschichtlicher Sicht reizvoll macht. Die innere Zerrissenheit einer Frau, die einerseits an das Versprechen eines Systems glaubt und dafür kämpft, andererseits aber von genau diesem System belogen, betrogen und verheizt wird, bleibt im Film jedoch bloße Behauptungen.

Von Andreas Fischer