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"Vom Gießen des Zitronenbaums"
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 16.01.2020
Regisseur: Elia Suleiman
Schauspieler: Elia Suleiman, Tarik Kopty, Gael García Bernal
Entstehungszeitraum: 2019
Land: F/PS/Q/D/CDN/TR
Freigabealter: 0
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Laufzeit: 102 Min.
Seltsame Dinge geschehen
Viele Worte verliert der ältere Herr nicht, der "Vom Gießen des Zitronenbaums" berichtet. Elia Suleiman, Regisseur aus Palästina, spielt sich in seinem neuen Film, seinem ersten seit zehn Jahren, selbst. Adrett mit Hut und Brille, der Mundwinkel spöttisch verzogen, die Melancholie in den Augen wundert er sich in Nazareth, Paris und New York, wie komisch die Welt doch geworden ist. Als schweigender Chronist sieht er in skurrilen Sketchen zu, wie sich die Menschen immer mehr um sich selbst drehen.

Worum es eigentlich geht? Das erfährt man erst nach der Hälfte dieser entzückenden, melancholischen Ansammlung von überspitzten Alltagsskizzen. Suleiman ist auf der Suche nach Geld für seinen neuen Film aus seiner Heimatstadt Nazareth abgereist und sitzt im Büro eines Pariser Filmproduzenten, der ihm wortreich erklärt, warum er ihn nicht finanzieren wird. Ein Film über Palästina ohne Leid, Blut, Schmerz und Dramen? Eine stumme Komödie gar? Das geht doch nicht. Zumal der Film, wie der Produzent vernichtend urteilt, überall auf der Welt spielen könnte.

Das stimmt sogar: Suleiman sucht und findet in "Vom Gießen des Zitronenbaums" Palästina auch in Paris und New York, wohin ihn seine Reise später noch führen wird. Subtil ist er dabei nicht immer: Wenn er Panzer in den Straßen von Paris beobachtet oder Kampfflugzeuge über dem Himmel der Stadt, wenn in New York jeder Kunde im Supermarkt ein Sturmgewehr trägt und ein Familienvater seine Panzerfaust aus dem Kofferraum eines Taxis holt, dann ist sein Anliegen ziemlich offensichtlich. Die Welt soll die Beklemmung spüren, die den Alltag Palästinas prägt.

Kindliche Freude am Absurden

Aber das kann man ihm nicht wirklich übelnehmen, weil Suleiman seine Botschaft mit einer derart kindlichen Freude am Entdecken vermittelt, dass einem die Augen übergehen und man aus dem Schmunzeln nicht mehr herauskommt. Ein Nachbar erzählt ihm von einer Schlange, die seinen Autoreifen aufblies, in Paris defilieren Passantinnen wie Models über die Straßen und führen Polizisten ein Ballett auf Segway-Einrädern auf. Eine Prozession scheitert fast, weil Betrunkene die Tür der Kirche nicht öffnen, Polizisten vermessen den Freisitz eines Cafés, und aus einem Krankenwagen wird eine mobile Rundum-Sorglos-Station für Obdachlose.

Was Suleiman alles einfällt, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Allein Paris durch seine Augen ist eine Erweckung: menschenleer und ohne jede Hektik. Man muss die penibel choreografierten Bilder einfach gesehen haben, in denen Suleiman ganze Geschichten versteckt. Er erzählt im Geiste von Aki Kaurismäki, Jacques Tati und Buster Keaton ruhig und mit einem feinen Sinn für Humor. Die Episoden bestehen oft nur aus zwei Einstellungen: Schuss und Gegenschuss. Das Publikum sieht, was Suleiman sieht - eine zunehmend absurdere Welt - und sieht Suleiman, wie er sich mit dem immergleichen Gesichtsausdruck in dieser Welt zunehmend verliert.

Fünf Worte wird Suleiman am Ende des Films gesprochen haben. Auf die Frage eines New Yorker Taxifahrers nach seiner Herkunft sagt er: "Nazareth. Ich bin aus Palästina." Der Mann am Steuer flippt vor Freude völlig aus. Der Zitronenbaum, den der deutsche Verleih zum Titelhelden erhoben hat, steht davon gänzlich unbeeindruckt bei Suleiman im Garten. Er wird von einem forschen israelischen Nachbarn beschnitten, gewässert und abgeerntet - ein ziemlich deutliches politisches Statement. Im Original heißt der Film "It Must Be Heaven". Damit hat Suleiman dann wirklich alles gesagt.

Von Andreas Fischer