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"The Lodge"
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 06.02.2020
Regisseur: Severin Fiala/Veronika Franz
Schauspieler: Riley Keough, Richard Armitage, Alicia Silverstone
Entstehungszeitraum: 2019
Land: USA
Freigabealter: 16
Verleih: SquareOne
Laufzeit: 112 Min.
Patchwork-Horror in der Hütte
"Ich seh Ich seh", das gefeierte Spielfilmdebüt von Veronika Franz und Severin Fiala, entstand noch in Niederösterreich. Für den Nachfolger "The Lodge" ging es mit englischsprachigem Drehbuch in die Einöden von Quebec. Das ist nicht überraschend: "Goodbye Mommy", so der internationale Titel von "Ich seh Ich seh", spielte in seiner untertitelten Version fast so viel Geld ein wie zu Hause. Das lag nicht zuletzt am Trailer, der von US-Medien zum "gruseligsten aller Zeiten" gekürt und daraufhin zum viralen YouTube-Phänomen wurde.

Franz und Fiala interessieren sich auch in ihrem neuen Film für den Horror, der Familie und Verlust innewohnt. Sie platzieren wieder zwei Kinder und eine Mutterfigur, die nicht als Mutter akzeptiert wird, in einem abgeschiedenen Setting. Und sie zeichnen erneut kein besonders positives Bild von Kindern. Das sind in diesem Fall Mia (Lia McHugh) und Aiden (Jaeden Martell). Sie halten wenig von Grace (Riley Keough), der neuen Freundin ihres Vaters Richard (Richard Armitage), geben ihr sogar die Schuld am Selbstmord ihrer Mutter. Richard besteht trotzdem darauf, dass die werdende Patchwork-Familie die Weihnachtstage zusammen in einer einsamen Ferienhütte verbringt. Obwohl "The Lodge" kein konventioneller Horrorfilm ist, beweist sich auch hier die alte Horrorfilm-Lehre: In einsamen Hütten passiert nichts Gutes.

In der ersten Hälfte des Films zeigt Papa Richard vielfach, wie man sich als Elternteil besser nicht verhalten sollte. Nicht nur verfehlt er oft den richtigen Ton, wenn er versucht, seine krisengebeutelte Familie ins selbe Boot zu holen, auch wählt er für den Pistolentresor einen Code, der viel zu einfach zu knacken ist. Die Tschechowsche Pistole ist aber in diesem Film eigentlich ein Trauma, und ein religiös geprägtes noch dazu - so viele Marienbildnisse und Kreuze zeigt der Film. Aber von wem geht die Bedrohung aus? Sind es die gebetseifrigen Kinder, die ihre tote Mutter rächen wollen? Ist es Grace, die als Kind einem christlichen Kult entfliehen musste? Ist es gar etwas Übernatürliches, das in der Hütte wie in einem Haunted-House-Film Dinge bewegt? Geschickt legt das Regie-Duo verschiedene Fährten.

John Carpenter lässt grüßen

Das Motiv der alles andere als unschuldigen Kindern zieht sich durchs bisherige Schaffen der zwei österreichischen Filmemacher, die nicht nur miteinander verwandt sind - Severin Fiala ist der Neffe des Filmemachers Ulrich Seidl, mit dem Veronika Franz verheiratet ist -, sondern schon lange eine gemeinsame Leidenschaft teilen. Fiala arbeitete einst für Franz als Babysitter. Wenn die Kinder in den Betten waren, sah er sich Horrorfilme an, und wenn dann Franz, ihrerseits Gruselkino-Fan, nach Hause kam, sahen die beiden sich gemeinsam Horrorfilme an, und heute machen sie Horrorfilme über Kinder. Sicher ist es kein Zufall, dass auch in "The Lodge" ein Filmabend zu sehen ist, bei dem John Carpenters Klassiker "Das Ding aus einer anderen Welt" geguckt wird.

In den fabelhaften Bildern von "The Lodge" erkennt man die Handschrift von Thimios Bakatakis, Stamm-Kameramann von Yorgos Lanthimos ("The Lobster", "The Killing Of A Sacred Deer"). Seine Kamera dreht sich oft um sich selbst, interessiert sich besonders für Zimmerdecken und Treppenhäuser, arbeitet mit Schwenks, wo man einen Gegenschuss erwartet, und fängt einige geradezu gemäldeartige Aufnahmen der Hütte ein - sowie von einem dazu immer wieder in Relation gesetzten Puppenhaus im Kinderzimmer. Besagtes Puppenhaus hat "The Lodge" einige nicht ganz faire Vergleiche mit Ari Asters Horror-Hit "Hereditary" eingebracht.

Im Gegensatz zu ihrem Erstling verlassen sich Franz und Fiala für "The Lodge" hier und da auf konventionelle Horror-Tropen - Puppenhäuser und Jump Scares etwa. Dennoch ist ihnen ein Film gelungen, der ein starkes Unbehagen aufbaut, ohne seine Bedrohung eindeutig zu benennen. Das bildstarke Finale hinterlässt wie schon bei "Ich Seh Ich seh" noch lange nach Verlassen des Kinosaals Tumulte in der Magengrube.

Von Mathis Raabe