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"Tommaso und der Tanz der Geister"
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 13.02.2020
Regisseur: Abel Ferrara
Schauspieler: Willem Dafoe, Cristina Chiriac, Anna Ferrara
Entstehungszeitraum: 2019
Land: I / GB / USA
Freigabealter: 12
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Laufzeit: 117 Min.
Die zermürbende Kraft des Alltags
Der 68-jährige New Yorker Abel Ferrara schickt für "Tommaso und der Tanz der Geister" Willem Dafoe vor die Kamera. Und siehe da, nach "The Florida Project" (2017), "Van Gogh" (2018) und "Der Leuchtturm" (2019) gelingt Dafoe im 40. Karrierejahr auch dieses Werk. Sein Tommaso bebt, lebt und hat von Minute eins so viel Esprit, dass man sich Ferraras Film nicht entziehen mag. Dabei ist jener Tommaso gar nicht besonders glücklich. Seine Ehe mit einer sehr viel jüngeren Frau Nikki (Cristina Chiriac) hat minimale Haarrisse, und zu Beginn meint man, er wisse nicht viel anzufangen mit seiner kleinen Tochter Deedee (Anna Ferrara). Die Familie lebt in Rom, und der Zuschauer erlebt mit ihnen fast dokumentarische Szenen einer Ehe.

Tommaso fällt es nicht leicht, sich dem Alltag zu ergeben. Beim raren Sex durch Kindergequengel gestört zu werden, nagt an seinem Ego. Er, der früher offenbar eher im Stile der Rolling Stones lebte, versucht sich am braven Leben. Doch seine aufopfernde Beschützerrolle ist seiner Frau Nikki gar nicht angenehm. Während er sich regelmäßig bei einer Selbsthilfegruppe neu justiert, wünscht sich die junge Gattin ein eigenes Leben. Auch beruflich befindet sich Tommaso eher auf einer Durststrecke und ärgert sich über interne wie externe Zweifel. Sein Zenit mag überschritten sein, dennoch muss man weiterleben. Zwischen künstlerischem Ehrgeiz und destruktiven Gedanken entwickelt sich Misstrauen ganz wunderbar. Der gealterte Künstler wird zunehmend eifersüchtiger und gerät in einen Strudel, den er unter Umständen nicht mehr kontrollieren kann.

Ein Leben im Film

Auch bei Regisseur Abel Ferrara sind die Zeiten, in denen er zum Kultregisseur avancierte, lange her. Es war 1992, als er mit "Bad Lieutenant" große Popularität erlangte. All das, was er nun in "Tommaso und der Tanz der Geister" präsentiert, ist der Filmemacher wohl mehr oder weniger selbst. Zumindest spricht einiges dafür: Willem Dafoe ist ein guter Freund Ferraras, im Film werden seine Frau und die gemeinsame Tochter von Ferraras Frau und Tochter gespielt, und die Wohnung, in der das Drama spielt, gehört ihnen. Den Vergleich zu Pedro Almodóvars letztem Film "Leid und Herrlichkeit", in dem Antonio Banderas das Alter Ego des spanischen Regisseurs gab, sollte man dennoch scheuen, denn die Herangehensweise und auch die Möglichkeiten sind hier und dort völlig andere. Zudem muss niemand - außer Ferrara - die Frage beantworten, ob man so viel von sich selbst in die Öffentlichkeit stellen muss, wie es Almodóvar tat.

Die Kamera, die Dafoe in Ferraras Film zunächst bewundernd folgt, verändert mit der Zeit ihre Einstellung, scheint den Protagonisten im Auge behalten zu wollen. Denn tatsächlich mischen sich mehr und mehr unberechenbare Momente in den Alltag, der für die Künstlerseele so langweilig ist. Freilich ist diese autobiografische Dokumentation eine Nabelschau, der man sowohl eitle als auch depressive Züge unterstellen kann. Es ist nicht spannend, was als Nächstes passiert, aber es ist spannend dabei zu sein, wenn Willem Dafoe einmal mehr seine Klasse offenbart. Wie kann dieser Schauspieler Menschen bannen, wie lange kann man dieses Gesicht betrachten und darin lesen! Während Tommaso immer unzufriedener und wütender wird, entstehen ein großes Stück Kino und auch ein wahres Stück Leben. Es tut dem Film gut, dass Abel Ferrara mit Sexszenen und -träumen haushaltet. Im Gegenzug gelingen ihm immer wieder intime Momente und vielschichtige Bilder. Dabei dient oft der Spielplatz als Ort der Verlorenheit, als Ort, an dem Seifenblasen platzen.

Von Claudia Nitsche