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"Master Cheng in Pohjanjoki"
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 30.07.2020
Regisseur: Mika Kaurismäki
Schauspieler: Anna-Maija Tuokko, Chu Pak-hong, Kari Väänänen
Entstehungszeitraum: 2019
Land: FIN/CHN
Freigabealter: 6
Verleih: MFA
Laufzeit: 114 Min.
Rennende Rentiere
"Ein Chinese in Finnland", so könnte der neue Film von Mika Kaurismäki auch einfach heißen. Vor etwas mehr als 20 Jahren drehte der Regisseur und ältere Bruder von Aki Kaurismäki noch große Filme wie "L.A. Without a Map", zuletzt aber verlegte er sich zunehmend auf Dokumentationen. Doch jetzt, mit "Master Cheng in Pohjanjoki", könnte Mika Kaurismäki auf seine älteren Tage (er ist 64) noch ein Comeback gelingen, mit dem eigentlich niemand mehr gerechnet hatte. Die Qualität dafür hat der Film: großartige Bilder von den weiten Landschaften Finnlands, eine berührende Culture-Clash-Geschichte und Darsteller, die in jeder Szene glaubhaft agieren.

Um was geht es? Cheng (Pak Hon Chu) sucht in Lappland nach einem finnischen Freund, der ihm einst in Shanghai aus der Patsche geholfen hat. Es geht um Geld, um Schulden und um Chengs tote Frau. Doch die Verwicklungen sind letztlich irrelevant, Missverständnisse kommen hinzu, und Cheng findet sich in einer abgelegenen Ausflugsgaststätte wieder, wo ihn die Wirtin aufnimmt, im Austausch für seinen Dienst als Koch. Cheng ist einverstanden, er hat seinen kleinen Sohn bei sich und hofft, dass der den Tod seiner Mutter fernab der Heimat besser verarbeiten möge. Für sich selbst hofft er auf etwas Abstand zu den alten Geschichten in Shanghai.

Bis dahin hält Kaurismäki seinen Film zwischen Plot und Naturbildern wunderbar in der Balance. Man merkt, dass er sich in Lappland auskennt, er weiß, worauf er die Kamera halten soll, seine Bilder vermitteln eine tiefe Verbundenheit mit der Landschaft. 1986 gründete er in der Nähe des Drehorts mit seinem Bruder Aki das Midnight Sun Film Festival, das jährlich rund 30.000 Besucher in die Abgeschiedenheit des hohen Nordens zieht. Und von der bekommt man in "Master Cheng" jede Menge mit. Wie schön Flechten auf Steinen sind, wie erhaben sie gar in ihrer Umgebung wirken, für diese Erfahrung muss man vielleicht wirklich erst diesen Film gesehen haben. Kaurismäki kann sich in den Naturszenen auf seinen exzellenten Mischtonmeister Peter Albrechtsen verlassen, der das Krachen der Bäume im Wind, das Klacken der Steine beim Gehen, die rennenden Rentiere (im Übrigen tatsächlich ein Running Gag im Film) oder einen aufkommenden Sturm so druckvoll und plastisch hören lässt, dass man unversehens an einen Urlaub in Finnland denkt.

Suppen und Rentiergerichte

Doch so berührend die Naturszenen anfangs auch sind, mit der Zeit überdreht Kaurismäki die Schraube. Es geht ihm um das Eigene und das Fremde und wie das alles langsam ineinander übergeht. Aber während der Zuschauer das längst verstanden hat, bekommt er das Thema immer wieder aufs Neue serviert und das stets auch noch mit drei Ausrufezeichen. Da wird über die gesundheitlichen Vorzüge der chinesischen Küche doziert, im Gegenzug zeigen die Finnen dem Chinesen, was eine richtige Sauna ist, und in einem der Möchtegern-Höhepunkte des Films tanzen die Einheimischen und der Chinese in einem romantischen Lokal mitten im Wald. Was zu Beginn des Films noch ehrlich und gelassen aussieht, wirkt jetzt nur noch konstruiert und hölzern. Kaurismäki will die Vorzüge der Globalisierung zeigen - Finnen und Chinesen können sich problemlos treffen und voneinander lernen - , doch die vielen Klischees in der zweiten Hälfte des Films machen ihm leider einen Strich durch die Rechnung.

Ein Glück für den Zuschauer, dass es auch noch die Rahmenhandlung gibt. Und in der kommen sich Cheng und seine Hauswirtin Sirkka (Anna-Maija Tuokko) näher und näher, vor allem, weil der Gast aus China so hervorragende Suppen und Rentiergerichte kocht. Selbst die beiden brummelnden Alten aus dem Dorf erwachen davon zu neuem Leben. Die zwei Freunde sind nebeneinander alt geworden, und ihr verstehender, unsentimentaler Blick auf das unweigerlich Kommende versöhnt einen dann doch wieder mit diesem kleinen, streckenweise überaus gelungenen Film des alten Meisters Kaurismäki.

Von Christian Gehl