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"Tenet"
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 26.08.2020
Regisseur: Christopher Nolan
Schauspieler: John David Washington, Elizabeth Debicki, Robert Pattinson
Entstehungszeitraum: 2020
Land: USA
Freigabealter: 12
Verleih: Warner Bros.
Laufzeit: 150 Min.
Die Rettung der Welt und des Kinos
Wenn es einen Mann gibt, der das Kino aus der Krise führen kann, dann Christopher Nolan. Der Brite ist ein Kino-Fanatiker wie sonst wohl nur Quentin Tarantino. Wenn Nolan einen Film dreht, dann richtig - auf analogem Material, das dafür produziert wurde, durch einen Projektor zu rauschen, und das sich schämen würde, über ein Smartphone-Display zu flimmern. "Tenet", der elfte Spielfilm des Briten, wurde im IMAX- und im 70mm-Format gedreht, von Hoyte van Hoytema, Nolans Stammkameramann seit "Interstellar". Das Ergebnis ist überwältigend: große, atemberaubende Bilder, die beweisen, dass das Kino trotz Pandemie und Netflix noch eine Zukunft hat.

Während immer mehr Filme verschoben wurden, auf den Herbst oder ins nächste Jahr oder gar zu den Streamingdiensten, startet "Tenet" nun unter besonderen Bedingungen: Noch bevor der Film in den USA in die Kinos kommt, läuft er in ausgewählten Ländern an. Überall dort, wo das Pandemie-Geschehen eine Kinoauswertung möglich macht.

Worum geht es in "Tenet"? Ganz ehrlich: Nach einmaligem Schauen ist es schier unmöglich, wiederzugeben, was da alles auf der Leinwand passiert. "Tenet" ist ein äußerst komplexer Film, 150 Minuten lang, mit Haupt- und Nebenhandlungen, und vor allem ist es ein Film, in dem die Zeit mal vorwärtsläuft, nur um dann die Richtung zu wechseln, bis sie erneut Haken schlägt. Um die Handlung von "Tenet" auf Anhieb zu verstehen, muss man wohl Quantenphysik studiert haben. Oder gleich Albert Einstein heißen. Wie gut tut es da, wenn man liest, dass selbst der Produktionsdesigner des Films das Drehbuch fünfmal durcharbeiten musste, bis er wusste, worum es in "Tenet" geht. Das zumindest gestand Nathan Crowley, der mit Nolan immerhin schon an komplexen Werken wie "Inception" arbeitete, in einem Interview.

Morgen ist heute schon gestern

Es geht in "Tenet", so viel zumindest ist sicher, um Zeit. Also um eines von Nolans Lieblingsthemen. Zuletzt, im Weltkriegsfilm "Dunkirk", teilte Nolan das Geschehen auf der Leinwand in drei Handlungsstränge auf, bei denen er die Geschwindigkeit, in der die Handlung passierte, mal beschleunigte, mal verlangsamte. In "Tenet" manipuliert er die Zeit und damit eine der vermeintlich absoluten Gewissheiten der Menschheit endgültig. Da werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eins, nur um wenig später wieder in ihre Einzelteile zu zerfallen.

Der Film beginnt mit einer atemlosen, unglaublich intensiven Ouvertüre. John David Washington ("BlacKkKlansman") spielt einen namenlosen Geheimagenten, den Nolan schlicht den "Protagonisten" nennt. Dieser Mann ist mit dabei, als Terroristen die Oper in Kiew stürmen und anschließend Spezialkräfte in das Gebäude eindringen. Der treibende Soundtrack des Schweden Ludwig Göransson, der erstmals mit Nolan zusammenarbeitete, lässt einen diesen Moment direkt körperlich spüren. Erst später allerdings wird klar, was der namenlose Protagonist an diesem Ort zu suchen hatte.

Für John David Washington geht es weiter durch die halbe Welt. Nach Mumbai, nach London, nach Oslo, nach Tallinn, nach Italien. Zwischendrin erfährt er, welchen Auftrag er hat: Der Protagonist soll einen dritten Weltkrieg verhindern. Geführt wird der mit einer Waffe aus der Zukunft, der Inversion. Diese Technik, die in die Gegenwart des Films gelangt ist, macht es möglich, die Zeit zu manipulieren. Pistolenkugeln, die invertiert wurde, fliegen aus der Wand zurück in die Waffe des Schützen. Und invertierte Menschen können sich rückwärts durch die Zeit bewegen. Das wirklich Gefährliche aber ist: Wer die Vergangenheit ändern kann, kann die Gegenwart mit einem Wimpernschlag ungeschehen machen.

"Versuchen Sie nicht, es zu verstehen"

Zusammen mit einem ominösen, von Robert Pattinson wunderbar im Ungefähren schwebend gespielten Geschäftsmann, will der Agent eben das verhindert. Dabei trifft er auf den russischen Waffenhändler Andrei Sator (Kenneth Branagh), einen Fiesling, der jedem Bond-Bösewicht Konkurrenz machen könnte. Dieser Sator hat eine intelligente und sehr schöne Frau namens Kat (gespielt von Elizabeth Debicki), die er im sprichwörtlich goldenen Käfig hält. Den gemeinsamen Sohn nutzt er als Faustpfand, um Kat davon abzuhalten, ihn, seine Brutalität und seinen obszönen Reichtum zu verlassen. Das gibt dem Film eine weitere, erfrischend konventionelle Ebene, in die der namenlose Held des Films schließlich eindringt. So etwas Altmodisches wie die Liebe - sogar bei Nolan funktioniert sie nach bekannten Mustern.

Die Effekte, die Nolan in den zweieinhalb Filmstunden auftischt, sind - man kann es gar nicht anders sagen - gigantisch. Wenn man dazu noch weiß, dass das meiste nicht am Computer entstanden ist, sondern in Handarbeit, wirkt "Tenet" noch eine Nummer größer. Etwa in jener Schlüsselszene, in der Nolan eine echte Boeing 747 in einen Flugzeughangar krachen und in Flammen aufgehen lässt. Angeblich, so Nolan, sei das sogar günstiger gewesen als ein Spezialeffekt aus dem Rechner. Dass "Tenet" mit mehr als 200 Millionen Dollar zu Buche geschlagen haben soll, glaubt man dennoch sofort.

In "Tenet" spielt Nolan mit der Zeit wie ein Gott mit seiner Schöpfung und wirft seine Protagonisten immer weiter durch den Raum. "Versuchen Sie nicht, es zu verstehen. Fühlen Sie es" - diesen Ratschlag bekommt der Namenlose einmal erteilt. Und auch als Zuschauer tut man gut daran, diesen Rat zu beherzigen. Denn zu viel nachdenken sollte man hier nicht, das lenkt nur ab. Manch einer mag einen Nolan-Film zwar nur dann wirklich genießen können, wenn er im Detail versteht, was auf der Leinwand passiert. Das Schöne an "Tenet" ist aber: Auch wenn man nicht wirklich immer überreißt, was geschieht, sieht man dennoch einen verdammt großartigen Film.

Von Sven Hauberg