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Toni Collette
"Ich mochte Horrorfilme noch nie"
Eigentlich mag Toni Collette (45) keine Horror-Filme. Trotzdem stand die australische Schauspielerin ("The Sitxth Sense", "Little Miss Sunshine") nun für einen vor der Kamera: "Hereditary - Das Vermächtnis" (Start 14. Juni) handelt von der Familie Graham, der nach dem Tod von Großmutter Ellen plötzlich allerhand übernatürliche Dinge widerfahren. Auf der Familie scheint ein Fluch zu liegen, der nach und nach alle einholt. Das Regiedebüt des jungen Amerikaners Ari Aster gilt zu Recht als einer der nervenaufreibendsten Horrorfilme der letzten Jahre. Im Interview verrät Golden-Globe- und Emmy-Preisträgerin Toni Collette, was sie an der Rolle gereizt hat - und ob sie selbst an übernatürliche Dinge glaubt.

Rewirpower: Frau Collette, die Annie in "Hereditary" ist zweifellos eine Ihrer bisher besten, aber wohl auch härtesten Rollen. Wie war es, in diesem nervenaufreibenden Thriller in die Rolle der Mutter zu schlüpfen?

Toni Collette: Es war sehr anstrengend, aber ich würde sagen, dass es im besten Sinne eine Herausforderung war. Jeder Schauspieler wünscht sich eine Möglichkeit oder Chance, alles zu geben, aber man kann immer nur so gut sein wie die Wörter im Drehbuch. Dieses Skript war unglaublich, es ist so eine komplizierte, dichte, originelle Geschichte - und es war ein Vergnügen, in diesem Film mitzuspielen, auch wenn die Dreharbeiten sehr aufreibend waren.

Rewirpower: Was dachten Sie, als Regisseur Ari Aster zu Ihnen kam und sagte, er habe da einen Horrorfilm für Sie?

Collette: Es lief etwas anders. Ich hatte meinem Agenten gesagt, dass ich erst mal nichts Schweres, sondern für eine Weile nur leichte Komödien drehen möchte. Ich hatte zuvor ein paar wirklich heftige Filme gemacht. Besonders nach "Im Himmel trägt man hohe Schuhe" fiel es mir schwer loszulassen, weil ich noch nie zuvor jemanden gespielt hatte, der stirbt. Ein Jahr später dachte ich immer noch darüber nach. Danach wollte ich erst mal nicht mehr so emotional sein bei der Arbeit und drehte ein paar leichtere Filme. "Fun Mom Dinner" hat wahnsinnig Spaß gemacht und war perfekt für mich. Aber dann rief mein Agent an und meinte: "Dieses Drehbuch musst du lesen!" Ich weiß es noch genau: Ich lag im Bett in Paris, das Fenster war offen, und es war sehr laut draußen. Ich dachte, entweder schlafe ich gleich ein oder ich kann mich wegen des Lärms nicht konzentrieren. Aber als ich dann anfing zu lesen, hat die Geschichte mich sofort gepackt.

Rewirpower: Warum?

Collette: Weil sie überraschend und originell ist, aber auch, weil "Hereditary" nicht bloß ein Horrorfilm ist. Es ist eine schöne, schmerzhafte Betrachtung dessen, was Trauer bedeutet und wie diese sich auf die Familiendynamik auswirken kann. Jedes erschreckende Element ergibt Sinn, es geht nicht bloß darum zu schocken. Ich hatte keine Wahl, ich musste diesen Film drehen.

Rewirpower: Wie ist es Ihnen gelungen, sich in die unendliche Trauer Ihres Charakters Annie einzufühlen?

Collette: Trauer ist Teil des Lebens, etwas Unvermeidliches, das irgendwann jeden von uns trifft. Ich musste mich nie anstrengen, um diesen Zustand zu erreichen. Kennen Sie das, wenn man versucht, über etwas nicht nachzudenken, und es dadurch, dass man es ignoriert, sogar noch größer wird? So war es bei diesem Film. Ich habe es weit von mir geschoben, bis es "Action" hieß, und dann alles aus mir herausgelassen. Das war schon seltsam, aber auch toll.

Rewirpower: Mal ehrlich: Wirklich sympathisch ist Ihr Charakter Annie nicht, oder?

Collette: Sie hat keinen warmen Charakter. Sie stellt die Idee von Mutterschaft auf den Kopf und ist nicht wirklich sympathisch, das stimmt. Aber sie hat eine Entschuldigung, weil sie es mit etwas Unbekanntem zu tun hat. Man fühlt mit ihr und versteht, warum sie so handelt. Wenn man so sehr trauert wie sie, kann man sich nicht mehr um andere Menschen kümmern. Man versucht einfach nur, durch den Tag zu kommen.

Rewirpower: Auch die Familiendynamik ist in dem Film ein großes Thema. Wie haben Sie es geschafft, vor der Kamera wirklich wie eine Familie zu wirken?

Collette: Wir saßen vor Beginn der Dreharbeiten vielleicht drei oder vier Stunden zusammen und das war's. Bei "Little Miss Sunshine" sind wir damals bowlen gegangen und haben auch sonst ein paar Sachen zusammen erlebt. Aber dieses Mal war das Drehbuch so gut und alle waren so professionell, dass jeder genau wusste, was er zu tun hat. Davon abgesehen: Ich bin kein Fan davon, die Dinge zu überdenken. Es ist wichtig, sich eine gewisse Spontaneität und eine frische, echte Qualität zu bewahren. Jeder Schauspieler hat die Aufgabe, seine Rolle so real wie möglich rüberzubringen, doch wenn man sich zu sehr abmüht, wirkt es befangen. Vor allem bei einer so emotionalen Rolle darf man es nicht übertreiben.

Rewirpower: "Hereditary" ist das Regiedebüt von Ari Aster. Wie war es, mit ihm zu arbeiten?

Collette: Es war toll, und ich glaube, er hat eine große Karriere vor sich! Ari ist so bedacht und geradezu pedantisch. Er hatte ganze Bände an Hintergrundgeschichten und Recherche. Alles, was man auf der Leinwand sieht, war beabsichtigt, nichts Zufall. Er ist ein echter Autorenfilmer, hat eine so mutige, originelle Vision und Stimme. Das muss gefeiert werden in einer Zeit, wo alle Filme neutralisiert werden, um der Masse zu gefallen - obwohl es ironischerweise doch eine echte Aussage ist, nach der die Leute sich sehnen.

Rewirpower: Vor allem Genre-Filme scheinen in letzter Zeit mehr auf eine tiefere Botschaft ausgelegt zu sein, oder?

Collette: Solche Theorien gibt es immer mal wieder - aber ich weiß nicht, ob das an der Freiheit im Genre liegt oder ob es eher der jeweilige Filmemacher ist, der etwas zu sagen hat. Ich glaube, man kann das schwer generalisieren. Aber was Horrorfilme betrifft, habe ich keine Ahnung. Ich gucke sonst keine.

Rewirpower: Warum nicht?

Collette: Ich mochte Horrorfilme noch nie, sie sind einfach zu angsteinflößend. Ich will diese Gedanken und Bilder nicht in meinem Kopf haben.

Rewirpower: Wenn man so einen Film wie "Hereditary" dreht, hört oder sieht man dann selbst irgendwann komische Dinge?

Collette: Leider nein. Eine langweilige Antwort, tut mir leid (lacht). Ich glaube aber schon, dass es sehr viel mehr gibt als unsere physische Welt. Deshalb ist dieser Film auch so erschreckend. Dieses Mal habe ich tatsächlich nichts erlebt, aber als ich "The Sixth Sense" drehte, hatte ich ein komisches Erlebnis: Ich wachte nachts ständig auf, und wenn ich auf die Uhr guckte, zeigte sie jedesmal dieselbe Zeit an. Als wäre das eine seltsame Botschaft, bloß dass ich sie nicht verstanden habe.

Rewirpower: Tatsächlich gibt es einige Leute, die "The Sixth Sense" mit "Hereditary" vergleichen ...

Collette: Die beiden Filme haben wirklich einige Gemeinsamkeiten. Bei beiden stand der Regisseur am Beginn seiner Karriere. Es handelt sich um klassische Familiendramen, aber mit einem Twist. Und bei beiden Filmen spürte man, dass da gerade etwas Besonderes passiert. Es herrschte eine gewisse Aufregung.

Rewirpower: Blicken Sie manchmal auf Ihre eigenen Filme und werden nostalgisch?

Collette: Das ist unvermeidbar - wenngleich es definitiv gesünder ist, im Moment zu leben. Ich hatte das Glück, Filme mit unglaublich talentierten und tollen Kollegen drehen zu dürfen. Die Filme, bei denen ich eine persönliche Verbindung zu den Leuten hatte, sind mir am wichtigsten. Ich schaue sie mir nicht regelmäßig an, aber jetzt, wo wir drüber sprechen, denke ich an all die Menschen, die involviert waren. Es ist wie bei allem im Leben: Wenn man plötzlich an einer Erinnerung hängen bleibt, denkt man eine Weile darüber nach.

Rewirpower: Wäre es eine Option, dass Sie in Zukunft selbst einmal Regie führen? Wir brauchen mehr Frauen hinter der Kamera!

Collette: Ja, brauchen wir wirklich! Ich habe mich immer dafür eingesetzt, öfter mit weiblichen Regisseuren zu arbeiten - aber nur vier Prozent sind Frauen. Unglaublich! Also ja, ich möchte gerne Regie führen. Ich habe meine eigene Produktionsfirma gegründet, und ich glaube, ich habe schon einen Film gefunden, bei dem ich innerhalb des nächsten Jahres Regie führen und selbst mitspielen werde. Das ist sehr aufregend!

Von Nadine Wenzlick