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Helmut Berger zum 75. Geburtstag
Die Honigbiene, die im Alkohol ersoff
Wenn die Künstler des Barocks die Vergänglichkeit alles Irdischen zeigen wollten, malten sie Totenschädel, verwelkte Blumen oder erloschene Kerzen. Wer Helmut Berger sah, wie er sich vor wenigen Jahren durch den RTL-Dschungel wälzte, musste unweigerlich an die alten Schinken denken. Das soll einst der schönste Mann der Welt gewesen sein? Doch da war Helmut Berger schon lange eine lebende Vanitas.

Wie gutaussehend war er gewesen, damals in den 70-ern. Blond, blaue Augen, schlanke, trainierte Figur. Alle himmelten sie ihn an, den schönen Österreicher. Frauen liebten ihn, Männer liebten ihn, die Skandalpresse sowieso. Keiner sah besser aus, keiner war größer als Berger. Und keiner fiel tiefer. Als der "stern" den einstigen Megastar 1998 zum Interview traf, schlug der den Fotografen des Magazins angeblich ins Gesicht, belästigte den Fotoassistenten sexuell und holte zum Schluss gar sein Gemächt aus der Hose. Helmut Berger - der lebende Skandal, einer, der immer dann gut ist, wenn schmutzige Schlagzeilen hermüssen. Am 29. Mai wird Berger 75 - es gab Zeiten, da hätte kein Buchmacher darauf gewettet, dass er so lange durchhalten würde.

Helmut Steinberger, so heißt er eigentlich, kam 1944 in Bad Ischl zur Welt, als Sohn einer Hoteliersfamilie. Mit zwölf sei er erstmals von der Schule geflogen, "weil ich Mädchen wollte". Zehn Jahre dann in katholischen Internaten, bei "furchtbaren" Priestern, die ihn und die anderen Jungs um sieben Uhr morgens mit eiskaltem Wasser abzuhärten versuchten. "Mein Vater hat mich verachtet", erinnerte sich Berger. "Er wünschte sich einen richtigen Kerl zum Sohn und nicht so was Weiches und Flatterhaftes wie mich." Berger sollte, wie die Eltern, im Hotelgewerbe arbeiten. Doch lieber als die Pagenuniform trug er die Kleider der Mutter. Mit 18 dann die Flucht, zunächst nach London, wo er sich als Fotomodell verdingte, seinen ersten Joint rauchte und zum Film wollte. Vergeblich zunächst. "Da habe ich mir gedacht: Geh doch nach Rom!"

Berger ging zunächst nach Perugia, lernte die Sprache, reiste später weiter in die Hauptstadt. Hier begegnete er, es war das Jahr 1964, jenem Mann, der ihn zum Weltstar machen sollte, zu seinem Geliebten und - nach seinem Tod - zum seelischen Wrack. Romy Schneider habe ihm von Luchino Visconti erzählt, sagte Berger einmal. Ein andermal behauptete er, er habe den Mailänder Regisseur, der aus einem alten Adelgeschlecht stammte, bei Dreharbeiten kennengelernt. Visconti habe Außenaufnahmen in Volterra gemacht, und da sei er herumgestanden, bis der 38 Jahre ältere Graf ihn schließlich bemerkte. "Da hat er sich in mich verguckt."

"Ich verdanke Visconti alles"

In Viscontis Episodenfilm "Hexen von heute" spielte Berger seine erste Rolle, an der Seite von Silvana Mangano. Ein kleiner Auftritt nur. Aber Visconti sah wohl etwas in Berger. "Für mich ist er der stärkste und ausdrucksstärkste Schauspieler überhaupt", sagte der Regisseur Jahre später. Visconti schickte Berger, der nun sein Geliebter war, nach London, an die Schauspielschule. Berger fügte sich. So wie er sich dem despotischen Visconti immer wieder unterordnete. Der Filmemacher war Mentor und Vaterfigur, formte ihn, beherrschte ihn. Dennoch sagte Berger später: "Ich verdanke Visconti alles." Er habe ihn zum Star gemacht und ihm gezeigt, "dass die Welt des Films grausam ist. Dass die Stars, die am Vorabend in den Himmel gehoben wurden, am Morgen in totale Finsternis zurückfallen, wenn irgendetwas nicht stimmt."

In Viscontis "Die Verdammten" wurde Berger zum Star. Der damals 25-Jährige spielte den pädophil veranlagten Industriellensohn Martin von Essenbeck - eine bitterböse Rolle, die ihm eine Nominierung für den Golden Globe einbrachte. In einer legendären Szene persiflierte er Marlene Dietrichs Auftritt in "Der blaue Engel". Zum Dank schickte die Dietrich ihm eine Postkarte von ihr als Lola. "Wer ist die Schönste von uns beiden", fragte sie auf der Rückseite. In Italien drehte Helmut Berger seine größten Filme. "Das Bildnis des Dorian Gray", "Der Garten der Finzi Contini", den Skandalstreifen "Salon Kitty" von Tinto Brass und Viscontis "Gewalt und Leidenschaft" (zusammen mit Burt Lancaster). Und natürlich "Ludwig II.", seine vielleicht größte Rolle. Das vierstündige Visconti-Epos folgt dem Bayernkönig von dessen Krönung bis zu seinem nassen Tod im Starnberger See. Franz Josef Strauß übte scharfe Kritik an dem Werk - ein größeres Lob konnte "Ludwig II." kaum bekommen. Nie war Helmut Berger besser als in der Rolle des schwulen Märchenkönigs.

Als der Film in die Kinos kam, 1972, war Berger der Liebling der Boulevardmedien. Verstohlen und sensationsgeil zugleich schrieben die Illustrierten über die Affären des Schauspielers, die er neben seiner Beziehung zu Visconti pflegte. Jahre später nach seinen mehr als 3.000 Liebhaberinnen und Liebhabern befragt, leugnete Berger die Zahl nicht. Wobei freilich kein anderer so erfolgreich war, sein eigenes Leben als Skandal zu verkaufen. "Die berühmtesten Tanzbeine der Welt", schwadronierte er über seine Affäre mit dem Tänzer Rudolf Nurejew, "legten sich schwanengleich um meine Schenkel".

"Ich wurde mit 32 Witwe"

Als Berger 30 wurde, 1974, feierte er im römischen Nachtclub Jacky O. Bianca Jagger kam, mit der er nach eigener Aussage ebenso schlief wie mit ihrem Mann Mick. Soraya war da, Ursula Andress. Und mittendrin Helmut Berger, in Hotpants und hohen Stiefeln. Es muss eine Nacht für die Ewigkeit gewesen sein. Das Koks zog er sich in diesen Jahren mit einem goldenen Strohhalm von Bulgari in die Nase. "Es gibt nur eine interessante Frau auf der Welt. Und die heißt Helmut Berger", soll Billy Wilder einmal gesagt haben.

Als Luchino Visconti im März 1976 in Rom starb, geriet Berges Leben außer Kontrolle. Er verlor den Halt, stürzte völlig ab. Am ersten Todestag Viscontis schluckte er eine Überdosis Schlaftabletten, wurde in letzter Minute gerettet. "Ich wurde mit 32 Witwe", sagte Berger. Von Viscontis Reichtum sah er nichts. Das Testament des Regisseurs, das angeblich ihn als Erben vorsah, verschwand. Das Einzige, das Helmut Berger bekam, war Viscontis Bett.

Für den italienischen "Playboy" zog er wenig später blank, eine Art Therapie vielleicht. Vor allem aber soff Berger immer mehr. Und die Filme, in denen er spielte, wurden immer schlechter. B-Movies, die heute vergessen sind. In den 80-ern entdeckte ihn das Fernsehen (oder umgekehrt), er spielte in Claude Chabrols "Fantomas"-Serie und im "Denver Clan". Schon nach elf Folgen war die Stippvisite ins US-Fernsehen aber Geschichte. "Unrühmliches Gastspiel!", titelte der deutsche Boulevard voller Häme, Berger soll sich am Set arrogant aufgeführt und seinen Text nicht gekonnt haben. Wenn Berger Schlagzeilen machte, dann nur durch Skandale. Besoffene Schlägereien, Frauen, Männer.

Als er 1990 mit Francis Ford Coppola "Der Pate - Teil III" drehte, fühlte er sich an Visconti erinnert. "Er führt dich, hat jede Geste im Auge", schwärmte Berger von dem amerikanischen Starregisseur. Hollywood aber blieb ihm fremd. "Ich hasse alles dort, die Plastikwelt, das ganze System."

Zweizimmerwohnung statt Palazzo

Sein Lebensmittelpunkt war da noch immer Rom, eine kleine Wohnung mit Picasso-Fliesen und Zeichnungen von Klimt an der Wand. Haushälterin Maria kümmerte sich um ihn. "Ich bete jeden Tag", sagte er damals. Berger war ein einsamer Mensch geworden, ein Relikt. Die Freundinnen von einst seien heute in der Schweiz, "auf ihrem Berg, sind verheiratet und passen auf ihre Kinder auf, damit sie nicht so werden wie sie". Berger war ein körperliches Wrack, nahm zu viele Drogen. 1994 heiratete er angeblich das italienische Starlett Francesca Guidato. Eine "getürkte PR-Nummer", meinte Berger einmal.

Zehn Jahre später verließ er Rom, zog nach Salzburg, um sich um seine sterbende Mutter zu kümmern. Filme drehte er kaum noch, und wenn doch, dann sah sie keiner. Als er 2013 ins RTL-Dschungelcamp zog, musste der jungen Generation erst erklärt werden, wer dieser aufgedunsene 69-Jährige eigentlich ist. Nach zwei Tagen war der Spuk wieder vorbei, Berger verließ entkräftet das Lager. "Ich wurde als goldene Biene geboren, und ich habe mein ganzes bisheriges Leben nur versucht, Honig zu produzieren", sagte Berger einmal. "Es ist mir leider nicht gelungen." Das ist wahr, natürlich. Aber was wäre das Kino, was wäre die Welt ohne Menschen, die es wenigstens versuchen?

Von Sven Hauberg