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"Ausgeflogen"
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 18.07.2019
Regisseur: Lisa Azuelos
Schauspieler: Sandrine Kiberlain, Thaïs Alessandrin, Victor Belmondo
Entstehungszeitraum: 2019
Land: FR
Freigabealter: 6
Verleih: Alamode Film
Laufzeit: 85 Min.
Lisa Azuelos im Interview
"Ich filme mit dem Ohr"
Ob "Willkommen bei den Sch'tis", "Monsieur Claude" oder zuletzt "Ein Becken voller Männer": Aus dem Nachbarland Frankreich verzaubern immer wieder originelle Komödien, deren Regisseure und Darsteller hierzulande oft kaum bekannt oder etwas in Vergessenheit geraten sind. Das gilt auch für die Filmemacherin Lisa Azuelos, die vor rund zehn Jahren mit "LOL (Laughing Out Loud)" auch in Deutschland Erfolge feierte - in Hollywood drehte sie wenig später mit Miley Cyrus sogar ein Remake. Das Terrain von "LOL" erkundet Azuelos in ihrem neuesten Film "Ausgeflogen", der am 18. Juli in den deutschen Kinos startet, von etwas anderer Warte, doch abermals als Komödie. Sandrine Kiberlain spielt eine alleinerziehende Frau, die sich schmerzhaft daran gewöhnen muss, dass ihre jüngste Tochter zum Studieren nach Kanada zieht. Dabei verzwichtet Azuelos konsequent auf Zuspitzungen und behält das Ohr am Alltag. Darüber, wie wichtig ihr das ist, wie viel eigenes Erleben in ihrem Film steckt und wie nützlich Männer für die Erziehung sind, spricht die 53-Jährige im Interview.

Rewirpower: Madame Azuelos, handelt es sich bei "Ausgeflogen" um ein Stück Ihrer eigenen Biografie? Immerhin spielt Ihre Tochter die weibliche Hauptrolle.

Lisa Azuelos: Ich versuche von einer Frau zu erzählen, deren Zeit als Mutter aufhört. Ein bisschen ist das so, als ob jemand angekündigt bekommt, demnächst seine Arbeit zu verlieren. Der Film zeigt die letzten Monate davor. Alles, was im Film ist, ist mein Leben.

Rewirpower: Was für eine Bedeutung hat für Sie die Trennung einer Mutter von Ihrer Tochter?

Azuelos: Für Frauen ist das ein wichtiges Thema. Es handelt sich um einen Abschnitt im Leben, der sehr wenig im Kino vorkommt. Dabei ist das doch etwas, was alle Eltern durchleben! Und als mir selbst das passiert ist, habe ich einen Film darüber gemacht.

Rewirpower: Früher gab es ja eine ganze Reihe von französischen Filmen, die das Verhältnis von Eltern und Kindern, Scheidung, Alleinerziehende und Abnabelung behandelt haben. Warum ist das heute anders?

Azuelos: Es liegt daran, dass das Alltägliche irgendwie nicht en vogue ist. Aber nehmen Sie einmal an, Sie liegen im Krankenhaus. Was fehlt Ihnen am meisten? Ihr Alltag, Ihr ganz gewöhnliches Leben. Da geht es nicht um irgendwelche aufgeblasenen Geschichten. Für mich zählen die Nahbeziehungen und die Intimität. Viele Filmemacher finden ganz andere Sachen toll, ich nicht.

"Ich lasse die Leute machen, was sie vorschlagen"

Rewirpower: Was war Ihr Ausgangspunkt für "Ausgeflogen" ?

Azuelos: Mein Smartphone und was ich damit von meiner Familie aufgezeichnet habe. Das war meine Basis für das Drehbuch, und danach habe ich gefilmt.

Rewirpower: Dann sehen wir also eine Art Home Movie?

Azuelos (verschmitzt): So ungefähr. Das heißt aber natürlich nicht, dass ich nicht schöne Einstellungen habe, oder ein schönes Licht oder einen raffinierten Schnitt. Indem ich zeige, wie die Mutter ihre Tochter filmt, habe ich mir eine Struktur geschaffen, mit der ich viele Dinge einfach freier behandeln kann. Ich entwickle lieber eine ganz banale, alltägliche Geschichte. Ich mache nicht die x-te Liebesgeschichte. Ich habe einfach Lust zu erzählen, was da in einer Wohnung geschieht, woran sich die Leute erinnern.

Rewirpower: Sind Sie denn zufrieden mit Ihrer Tochter Thaïs als Jade, als Filmtochter von Sandrine Kiberlain?

Azuelos: Ich habe ja schon einige Male mit meiner Tochter gedreht. Ich finde sie toll als Schauspielerin. Außerdem spielt sie ja die Sachen, die sie kennt. Sie ist für die Rolle geeigneter gewesen als andere. Thaïs hat eine sanfte Energie, sie ist besonders. Das hat viel zu der Figur der Jade beigetragen.

Rewirpower: Gehören Sie zu den Regisseuren, die die Schauspieler viel führen?

Azuelos: Sowas mache ich eigentlich überhaupt nicht. Ich lasse die Leute machen, was sie vorschlagen. Natürlich arbeitet man vor, damit man weiß, was man haben will. Ich arbeite einfach mit dem Ohr. Ich höre heraus, was natürlich ist. Wenn ich schreibe, tue ich das mit dem Ohr, wenn ich filme, tue ich das mit dem Ohr.

"Männer sind sehr nützlich"

Rewirpower: Was hat Ihr Ohr zu Sandrine Kiberlain gesagt, die Héloïse spielt, die Mutter?

Azuelos: Ein sehr gutes Alter Ego für mich. Sie hat dafür den Humor, sie spielt natürlich.

Rewirpower: Was raten Sie Eltern, die die Trennung von Ihren Kindern verarbeiten müssen?

Azuelos: Man muss bereit sein, immer wieder dazuzulernen. Man unterhält sich mit einer Freundin, zeigt sich stolz, dass das Kind ins eigene Leben aufbricht. Dann kehrt man nach Hause zurück und fühlt sich ganz anders. Man wird sich seiner sehr unterschiedlichen Gefühle bewusst, die man durchlebt.

Rewirpower: Welche Rolle haben eigentlich Ihrer Meinung nach die Männer bei der Erziehung? Die stehen in Ihrem Film eher am Rand.

Azuelos: Die Männer sind sehr nützlich. Ich lebe mit meinen Kindern ohne Mann und weiß deshalb, was fehlt. Die haben einfach eine andere Art, sich an Kinder zu wenden. Ich bin eher die Versorgende, die Liebende, aber sagen, wann Stopp ist, wann es reicht, das ist meine Sache nicht. Das habe ich nicht natürlicherweise an mir.

Rewirpower: Eine Frage der Autorität?

Azuelos: Sagen wir eher: eine Sache des natürlichen Umgangs damit! Auf die Einhaltung von Regeln pochen zu können und trotzdem Fünfe gerade sein lassen. Frauen beunruhigen sich schnell über alles. Ich habe zwar auch etwas sozusagen "Maskulines", weil ich viel arbeite, deshalb kann ich mit manchen Umständen wie einem leeren Kühlschrank schon etwas pragmatischer umgehen. Dennoch: Ich glaube, die Familie braucht die männliche Energie.

Von Andreas Günther