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"Marie Curie - Elemente des Lebens"
Filmbewertung: akzeptabel
Starttermin: 16.07.2020
Regisseur: Marjane Satrapi
Schauspieler: Rosamund Pike, Sam Riley, Aneurin Barnard
Entstehungszeitraum: 2019
Land: F / GB
Freigabealter: 12
Verleih: Studiocanal GmbH
Laufzeit: 110 Min.
Sam Riley im Interview
"Machen wir wirklich Fortschritte?"
Sam Rileys Vielseitigkeit beschränkt sich nicht auf die Schauspielerei. Mit Anfang zwanzig brachte es der Brite als Frontsänger einer Indie-Band aus Leeds immerhin zu Plattenvertrag und Album. Wohl deshalb wirkte er so überzeugend in der Hauptrolle von "Control" (2007), einem Biopic über den Leadsänger der Postpunk-Band Joy Division. Seine Darstellung des Ian Curtis bescherte ihm eine Reihe Auszeichnungen. Seitdem ist Riley im Filmgeschäft virtuos unterwegs als melancholischer Gangster in "Brighton Rock" (2011), als geheimnisvoller Rächer in "Das finstere Tal" (2014) oder kürzlich mit Angelina Jolie in "Maleficent: Mächte der Finsternis" (2019). Der 40-Jährige lebt mit seiner Frau, der Schauspielerin Alexandra Maria Lara, und dem gemeinsamen Sohn in Berlin. Im Forscher-Biopic "Marie Curie-Elemente des Lebens" (Kinostart: 16. Juli) ist er nun als Ehemann von Marie Curie und damit Mitentdecker der Radioaktivität zu sehen. Seine Reibeisenstimme - ein Kontrast zum jugendlichen Aussehen - passt sehr gut zu seiner Rolle. Im Interview spricht Sam Riley über Fluch und Segen der Wissenschaft und die Chemie auf der Leinwand.

Rewirpower: Mr. Riley, Sie schlüpfen in die Rolle des Forschers Pierre Curie. Er unterstützt seine vielleicht noch genialere, gleichfalls forschende Frau Marie gegen eine patriarchalische Wissenschaftselite. Zwar spielt "Marie Curie - Elemente des Lebens" im Paris von 1900. Aber ist das Problem nicht sehr aktuell?

Riley: Absolut! Es geht in dem Film auch um Gleichberechtigung in der Wissenschaft - so wie eben in anderen Lebensbereichen.

Rewirpower: Ihr Pierre Curie war ja anscheinend ein Mann mit sehr modernen Ansichten. Er hat seine Frau als große Wissenschaftlerin respektiert - und auch akzeptiert, dass sie ihn überragt.

Riley: Ja, allerdings würden viele Frauen von heute wohl sagen, dass es noch viel modernere Männer gibt als Pierre Curie! Aber bei ihm schlägt schon durch, dass er eine sehr freie Erziehung genossen hat. Dadurch stand er vielleicht weniger unter den Dogmen der damaligen Zeit, dem 19. Jahrhundert. Seine Eltern ließen ihm viel Gelegenheit sich auszuprobieren. Sie lebten Gleichberechtigung der Geschlechter wohl ganz gut vor.

Rewirpower: Das hat anscheinend seine Einstellung auch zu seiner Frau geprägt.

Riley: Das auf alle Fälle! Er war von Maries Brillanz nicht eingeschüchtert. Er hat gesehen, dass sie beide, mit ihren Chemie- und seinen Physik-Kenntnissen, noch brillanter waren als jeder für sich!

Rewirpower: Wie haben Sie sich auf Ihre Rolle vorbereitet?

Riley: Ich habe viel gelesen. Ich bin nach Paris gefahren. Ich habe mir angeschaut, wo die beiden gearbeitet haben. Wir haben auch wissenschaftlichen Unterricht erhalten. Dabei haben wir gelernt, wie die Messgeräte von damals bedient werden. Wie sie die Radioaktivität entdeckt haben, all das haben wir ausführlich gezeigt bekommen.

Rewirpower: Wie sind Sie denn überhaupt dazu gekommen, Pierre zu spielen?

Riley: Meine Frau Alexandra und Marjane Satrapi kennen sich, seit sie 2008 zusammen in der Jury von Cannes saßen. Über Alexandra habe ich dann Marjane kennengelernt. Sie ist eine faszinierende Persönlichkeit. Sie ist so außergewöhnlich, dass sie selbst in das Periodensystem der Elemente aufgenommen werden müsste. Von ihr, die Regie führen sollte, erfuhr ich, dass für Rosamund Pike als Marie Curie der Partner gesucht wurde - da war ich schlicht und einfach interessiert. Es ging alles den normalen Gang. Ich wurde zum Vorsprechen eingeladen - und zu einem Test, wie die Chemie zwischen mir und Rosamund wäre ....

"Bei vielen ruft das eine tiefe Verunsicherung hervor"

Rewirpower: Wissenschaft der Schauspielerei!

Riley: Es genügt eben nicht, einfach gut zu spielen. Man muss zusammen auf der Leinwand Wirkung entfalten können. Und offenbar habe ich den Test bestanden. Und je mehr ich mich mit der Person des Pierre Curie befasst habe, umso faszinierter war ich - und umso erpichter darauf, ihn zu spielen.

Rewirpower: Der Film zeigt nicht zuletzt, wie abhängig der Fortschritt von der Wissenschaft ist. Bei allen Gefahren, die damit verbunden sind.

Riley: In der Nobelpreisrede fragt Pierre ja auch kritisch, ob die Menschheit letztendlich wirklich davon profitiert, die Geheimnisse der Natur zu enthüllen. Und das ist immer noch eine interessante Frage, meine ich, auf die es wohl nie eine endgültige Antwort geben kann. Es hängt eben vom Menschen ab.

Rewirpower: Wobei der Widerstand gegen Wissenschaft nicht zu unterschätzen ist. Gerade jetzt, in Corona-Zeiten.

Riley: Das ist in der Tat auch die Haltung in meiner Heimat Großbritannien. Ich fürchte, dass da der Brexit hineinspielt. Natürlich ist Wissenschaft kompliziert. Aber Widerstand dagegen trägt dazu bei, dass populistische Ideen erst populär werden. Sie machen die Welt für Leute verständlich, die sie unverständlich finden. Tja, und dann kommt die Wissenschaft und sagt einem noch, dass jemand anders mehr weiß als man selbst. Bei vielen ruft das eine tiefe Verunsicherung hervor.

Rewirpower: Fast schon eine narzisstische Kränkung!

Riley: Ja - und auf die reagieren narzisstische Politiker besonders allergisch. Sie haben überhaupt keine Scheu, die Ratschläge von Wissenschaftlern in den Wind zu schlagen und die Einnahme von Desinfektionsmitteln zu empfehlen. Das ist furchtbar.

Rewirpower: Ihr Pierre Curie sieht aber mehr Licht als Dunkelheit.

Riley: Das ist sein Optimismus! Er hat immer geglaubt, dass die Wissenschaft zu mehr Gutem als Schlechtem führt - und dass sie sich durchsetzt. Aber das ist schon wieder so eine Frage, die sich nicht beantworten lässt: Sind wir dazu verdammt, uns zu wiederholen - oder machen wir wirklich Fortschritte?

Von Andreas Günther