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"Eine Frau mit berauschenden Talenten"
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 08.10.2020
Regisseur: Jean-Paul Salomé
Schauspieler: Isabelle Huppert, Hippolyte Girardot, Farida Ouchani
Entstehungszeitraum: 2020
Land: F
Freigabealter: 12
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Laufzeit: 106 Min.
Isabelle Huppert im Inteview
"Die Gewalt in der Gesellschaft deprimiert mich"
Auf ihr Alter dürfe man sie nicht ansprechen: Die Anweisung vor dem Gespräch waren eindeutig. Allerdings auch völlig überflüssig: Wer bitte schön käme denn überhaupt auf die Idee, Isabelle Huppert mit irgendeiner Form von Vergänglichkeit in Verbindung zu bringen? Beim Interview in einem Berliner Hotel sitzt man dann - natürlich - einer alters- und zeitlosen Grande Dame des französischen Kinos gegenüber. Zierlich zwar, aber schlagfertig und trotz später Stunde, trotz Corona-Sommer, trotz verlorenen gegangener Koffer auf dem Flug, hellwach und aufgeweckt. Nicht unähnlich der Figur, die Isabelle Huppert in "Eine Frau mit berauschenden Talenten" (Kinostart: 8. Oktober) spielt: die Polizei-Dolmetscherin Patience, die durch Zufall an einen Lieferwagen voller Haschisch kommt und beschließt, die Drogen selbst zu vertickern. Oft mit einem spöttischen Lächeln im Gesicht sinniert Isabelle Huppert im Interview über ihren Humor, über Diderot und über die Schwierigkeit, Kehllaute zu artikulieren.

Rewirpower: Madame Huppert, Sie spielen oft Frauen in widrigen Umständen, Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen - was gefällt Ihnen daran?

Isabelle Huppert: Diese Art von Figuren sind einfach dankbar. Jede auf ihre Art. Ich mag es, Frauen zu spielen, die ein Ziel haben und die einen Weg beschreiten müssen, um es zu erreichen. So wie Patience, die fast schon prekär anfängt, fast unsichtbar ist. Im Lauf der Geschichte aber befreit sie sich von ihren Fesseln: einfach, weil ihr das Leben eine großartige Gelegenheit schenkt.

Rewirpower: Die sie aber auch selbst ergreifen muss.

Huppert: Das ist richtig. Sie packt regelrecht zu, ohne groß nachzudenken. Das hat gefällt mir sehr an der Figur, genau wie mir ihre gedankliche Schnelligkeit imponiert.

Rewirpower: Drogen, Rassismus, soziale Spannungen: "Eine Frau mit berauschenden Talenten" erzählt davon mit viel Humor, und der steht Ihnen gut. Warum drehen Sie nicht mehr Komödien?

Huppert: Ein paar lustige Filme habe ich doch schon gedreht! (lacht). Und die waren nicht schlecht. "8 Frauen" zum Beispiel. Aber ganz ehrlich: Es ist viel schwerer, gute Komödien zu machen als gute Dramen. Außerdem ist der Film nicht nur eine Komödie, er ist das Porträt einer Frau in ihren besten Jahren und eine leise Gesellschaftskritik.

Rewirpower: Witzig ist er trotzdem ...

Huppert: ... und er trifft genau meinen Humor. Der leicht distanzierte, spöttische Blick - darin finde ich mich auch persönlich wieder. Ich lache gern über die kleinen Unwägbarkeiten des Lebens.

"Bisher hatte ich immer Glück mit meinen Regisseuren"

Rewirpower: Es steckt also ein wenig Isabelle Huppert in der "Alten"?

Huppert: Ein bisschen? Ziemlich viel sogar. Zumindest, was den Humor angeht. Meine eigene Persönlichkeit kann ich zwar nicht in allen Figuren einbringen. Das ist sogar selten. Aber wenn es dann mal funktioniert, dann koste ich das auch aus. Auch weil ich dadurch die Zuschauenden zu meinen Verbündeten machen kann. Ich verstehe Filme als Prozess, der meine Schauspielkunst formt. Wissen Sie, was ich meine?

Rewirpower: Ja, ich erinnere mich gut an "I Heart Huckabees", wo das wunderbar geklappt hat.

Huppert: Genau, aber auch in "Alles was kommt" war ich mit der Figur eins. Ein toller Film von Mia Hansen-Løve, sehr wahr, sehr dramatisch. Aber eben auch sehr ironisch. Ich habe es sehr genossen, am Ende des Films dem Mann den endgültigen Laufpass zu geben, der meine Figur zuvor verlassen hatte.

Rewirpower: Abgesehen vom Humor: Worauf achten Sie nach Ihrer langen und erfolgreichen Karriere, wenn Sie neue Rollen aussuchen?

Huppert: Detailliert kann ich Ihnen das gar nicht sagen. Das Gesamtpaket muss stimmen. Zuvorderst müssen mich die Künstler interessieren, mit denen ich zusammenarbeite. Der Regisseur oder die Regisseurin sind enorm wichtig. Und dann mag ich es, wenn ich die Rolle selber gestalten und sie wie eine Spitzenklöpplerin formen kann: hier einen Faden ansetzen, dort eine Verbindung schaffen. Eigentlich sind meine Auswahlkriterien sehr einfach. (schmunzelt)

Rewirpower: Wenn ich mir Ihr bisheriges Gesamtwerk noch einmal vor dem inneren Auge ansehe: Ihre Rollen wirken wie Puzzleteile, die Sie zu einem Selbstporträt zusammenfügen ...

Huppert: Das ist einerseits richtig, andererseits auch nicht. Natürlich ist in allen Rollen auch Stück von mir, als Schauspielerin bin ich schließlich ein Teil der Figur. Andererseits haben die Rollen nichts mit mir zu tun. Diese Ambivalenz von Schein und Sein, diese Mischung aus Wahrheit und Lüge hat Diderot einst als "Paradox des Schauspielers" zusammengefasst. Für mich ist dieses Spiel eigentlich sehr einfach. Wenn man allerdings mit dem Regisseur nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommt, kann es auch zum Alptraum werden. Aber bisher hatte ich immer Glück mit meinen Regisseuren.

"Für mich haben Filme keine Mission"

Rewirpower: Verlieren Sie sich manchmal in Ihren Rollen und lassen Ihre Figuren näher an sich heran, als Ihnen guttut?

Huppert: Nein. Gar nicht. Meine Rollen haben mich noch nie nach Hause begleitet. Was nicht heißt, dass ich nicht in den Figuren aufgehe. Das gehört schließlich zum Spiel dazu.

Rewirpower: Zu diesem Spiel, wie Sie es nennen, gehörte in "Eine Frau mit berauschenden Talenten" auch, dass Sie Arabisch sprechen ...

Huppert: Moment, Moment. Ich habe nicht wirklich Arabisch gesprochen, sondern nur ein paar wenige Wörter und Sätze gelernt.

Rewirpower: Was man als Zuschauer aber nicht merkt. Man denkt vielmehr, Sie hätten nie etwas anderes gemacht.

Huppert: Ich weiß. Das ist die Kunst der Illusion. Aber ich schwöre, dass ich wirklich nur ein paar wenige Wörter sprechen kann. In der Sprache gibt es viele Kehllaute, die für uns Mitteleuropäer schwer zu artikulieren sind. Interessant zu lernen war es trotzdem. Auch, wenn es anstrengend und nicht in fünf Minuten erledigt war.

Rewirpower: Und es passte gut in das Porträt eines multikulturellen Paris, das "Eine Frau mit berauschenden Talenten" auch ist. Wie wichtig war für Sie der sozialkritische Aspekt des Films?

Huppert: Für mich haben Filme keine Mission. Sie erzählen Geschichten, sie zeigen Bilder. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Kino nicht für gesellschaftliche Veränderungen zuständig ist. Das ist Aufgabe der Politik.

Rewirpower: Aber steckt nicht in jedem künstlerischen Schaffen ein Stück gesellschaftliche Wirklichkeit?

Huppert: Natürlich, die zeigt und reflektiert der Film ja auch. Wir leben in Frankreich in einer Gesellschaft, die brutaler und schmerzvoller geworden ist. Wie die Polizei mit gewissen Bevölkerungsgruppen umgeht etwa, ist unerträglich. So viel Gewalt. Das deprimiert mich.

Von Andreas Fischer