rewirpower.de – Das Revierportal


Lieben, leiden und der tote Hase
Diese Kamerafahrt dauerte lange. Sehr lange. Also wirklich lange. Die Folge: Allgemeines Räuspern, dezentes Stöhnen und vor allem viel Verwunderung im Pressepublikum. Der Regisseur Thomas Arslan traute sich was, keine Frage. In seinem Wettbewerbsbeitrag "Helle Nächte" touren ein Vater und sein entfremdeter 14-jähriger Sohn gemeinsam durch Norwegen. Es herrscht, fast immer, Sprachlosigkeit. Zum Höhepunkt symbolisiert in einer minutenlangen Fahrt auf einem Feldweg. Die Kamera drauf auf die Kühlerhaube. Und losfahren. Berg rauf. Runter. Wieder rauf. Bisschen Nebel. Fertig. Die Reaktionen waren zwiespältig. Manche lobten den deutschen Beitrag im Berlinale-Wettbewerb. Mehrheitlich jedoch stieß das Drama auf Ablehnung. Womöglich litt es unter allzu viel Schweigsamkeit in einem ansonsten oft quasseligen, erstaunlich unterhaltsamen und bunten Wettbewerb, der am Samstag, 18. Februar, endet.

Drei vorrangig deutsch produzierte Filme waren es, die dem Publikum vorgeführt wurden. "Helle Nächte" war sicher der schwächste von ihnen. Georg Friedrich spielt darin den aus Österreich stammenden Bauingenieur Michael, dessen Vater vor fünf Jahren nach Norwegen auswanderte. Seither bestand kein Kontakt. Nun erhält Michael die Nachricht seines Todes und fährt mit seinem ihm in den Jahren fremd gewordenen Sohn Luis (Tristan Göbel) gen Norden. Michael entdeckt den Wunsch in sich, seinem Sohn näherzukommen. Ihn zu verstehen. Doch der pubertiert vor sich hin. Sie reden wenig - und wenn, dann aneinander vorbei. Zwischendurch starren sie auf eine brennende Hütte, schlafen mehr oder minder gut im Zelt, fliehen voreinander und kehren wieder zurück. Der Rest ist Schweigen. Viel davon. "Helle Nächte" ist bisher noch ohne Starttermin.

Wie man "Wehmut" filmisch deutlich besser zeigt, bewies Volker Schlöndorff mit seinem Drama "Rückkehr nach Montauk". Der Regisseur variiert damit die Erzählung "Montauk" von Max Frisch, mit dem Schlöndorff persönlich bekannt war. Man sei sich einst einig gewesen, heißt es, dass "Montauk" nicht zu verfilmen sei. Und so entwarf Schlöndorff zusammen mit Colm Tóibín sein eigenes Drehbuch, das ebenfalls in Montauk spielt, einem Küstenstädtchen am Ende von Long Island.

Stellan Skarsgård spielt den Schriftsteller Max Zorn, der zu einer Buchpräsentation nach New York reist. Dort wartet zunächst seine Frau Clara (Susanne Wolff) auf ihn, die für den amerikanischen Verlag an der Veröffentlichung mitgearbeitet hat. Doch bald schon trifft der Autor auf Rebecca (Nina Hoss), eine Liebe von einst. Was folgt, ist ein Thema, das viele alternde Männer bewegt: Es geht um die eine verpasste Chance. Um die Frau, für die man rückblickend hätte mehr aufgeben sollen. Wobei offen bleibt, ob jene Frau wirklich das Perfekte gewesen wäre. Hätte er sie ewig geliebt? Oder liebt er nicht nur ewig diesen Traum vom vollkommenen Glück?

Natürlich hat "Rückkehr nach Montauk" (Bundesstart: 11. Mai) seine kitschigen, filmisch verbrauchten Momente. Dem entgegen stehen Feingefühl und ein gewisser Charme, mit dem Schlöndorff eine Geschichte erzählt, die nun wahrlich nicht sehr originell, aber eben immer wieder neu ist. Anders als Thomas Arslan lässt er seine Figuren reden, was im Leben nicht immer richtig, im Kino dann aber die bessere Lösung ist.

Der dritte Film im Wettbewerb war eine Dokumentation, die förmlich auf die Berlinale hinproduziert scheint. Der Regisseur Andres Veiel porträtiert in dem schlicht "Beuys" betitelten Beitrag den 1986 verstorbenen Künstler Joseph Beuys. Dabei stehen die rein biografischen Informationen im Hintergrund. Nur ein paar Worte über Kindheit und Jugend. Stattdessen entwickelt sich "Beuys" zu einem gut 90-minütigen Anstoß zur erneuten Diskussion über den Kunst-Begriff, die einst öffentlich geführt und von hoher Relevanz war, heute aber gefühlt keinen Menschen mehr wirklich interessiert.

Es geht um den viel zitierten "erweiterten Kunstbegriff". Um selbst auferlegte Grenzen des Menschen und den Sinn und Unsinn dahinter. Veiel kramte tief im Archiv und zeigt Beuys bei einigen seiner Aktionen. "Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt" zum Beispiel. Durch ein Fenster blickten die Menschen damals in eine Galerie, in der Beuys eben jenem Hasen auf dem Arm Bilder zeigte. Dass das heute womöglich noch befremdlicher anmutet als damals, lässt viel Raum zur Deutung: Ist es nicht so, dass wir heute weit mehr Scheuklappen tragen als damals? Und das, obwohl die moderne Welt in Sachen Kunst, Kommunikation und Extravaganz viel mehr zuließe?

Ohne Off-Kommentar zeigt Veiel Aufnahme um Aufnahme, und es wird deutlich, wie sehr er Beuys mag. Kritiker kommen kaum zu Wort. Hinsichtlich des politischen Engagements beschränkt sich Veiel auf die Grünen-Zeit des Künstlers und lässt sein Engagement für die "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" außen vor. Als Biografie taugt der streckenweise schwärmerische Film nicht. Wenn er jedoch eine Diskussion zu einem vergessenen Thema neu beleben würde, hätte er seinen Zweck erfüllt. "Beuys" startet am 1. Juni in den Kinos.

Wer am Ende den Goldenen und die Silbernen Bären erhält, entscheidet sich am Samstag, 18. Februar. Der Sonntag ist wie gewohnt der Berlinale Kinotag. Zahlreiche Festivalfilme aus den verschiedenen Sektionen werden in den Berlinale-Spielstätten wiederholt.

Von Kai-Oliver Derks