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Hacksaw Ridge
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 26.01.2017
Regisseur: Mel Gibson
Schauspieler: Andrew Garfield, Sam Worthington, Vince Vaughn
Entstehungszeitraum: 2016
Land: USA / AU
Freigabealter: 16
Verleih: Universum Film
Laufzeit: 140 Min.
Pazifismus für Patrioten
Woran eine Person glaubt, war für die Wirkung ihres Filmschaffens lange Zeit kaum relevant. Man schaue nur auf die Meisterwerke eines Hardcore-Esoterikers wie David Lynch. Aber in politisch brisanten Zeiten wie diesen? Wenn nun Mel Gibson, der ultrakonservative katholische Fundamentalist, ein ultrapatriotisches US-Weltkriegs-Drama in die Kinos bringt - müssen wir dann angesichts wieder aufkeimender Nationalismen alltenthalben nicht viel kritischer damit umgehen? Das blutige und nervenaufreibende Spektakel "Hacksaw Ridge", das auf wahren Ereignissen beruht, entlässt das Publikum dahingehend noch ratloser. Denn obwohl man die christlich-verbrämte Aura spürt, lassen einen die mitreißenden Bilder nicht los - und Gibson schnell vergessen.

Ähnliches gelang ihm bereits vor 13 Jahren schon einmal: 2004 schockierte Mel Gibson mit seiner "Passion Christi" Religionskritiker und Religiöse zugleich. Zu aufdringlich fanden die einen das christliche Sendungsbewusstsein; zu brutal und unangemessen die anderen die Splatterorgie im Nahen Osten. "Hacksaw Ridge" könnte den gleichen Weg nehmen: Aufgeklärten Geistern wird das patriotische Pathos des Films ebenso auf die Nerven fallen wie der christliche Erlösungs-Kitsch. Konservative Heimatverteidiger könnten sich indes an der beängstigend realen Darstellung des Kriegs-Schreckens genauso stören wie am kompromisslosen Pazifismus der jungen Heldenfigur (der allerdings, zur Besänftigung des republikanischen Gemüts, auf einem tiefsitzenden Glauben fußt).

Der Name jenes jungen Mannes lautet Desmond Doss, ein realer amerikanischer Held, der die "Medal of Freedom" erhielt, ohne einen einzigen Schuss abgegeben zu haben. Dem 2006 Verstorbenen setzt Gibson mit "Hacksaw Ridge" ein Denkmal. Jener Doss, eindringlich verkörpert von Ex-"Spider-Man" Andrew Garfield, schwor nach einem bedrohlichen Zwischenfall in seiner Familie, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen. Die Wandlung seines Bible-Belt-Glaubens in eine Art urchristlichen Pazifismus gerät zur logischen Folge dessen - und ist im waffenvernarrten Südstaaten-Virginia der 40er-Jahre nicht gern gesehen. Wäre aber wohl noch zu ertragen, würden nicht just zu jener Zeit die Japaner Pearl Habor überfallen und in Doss, seinem Bruder folgend, den heimattreuen Patrioten wecken. Als solcher meldet sich der junge Mann bei der US-Army, um in Asien für sein Land zu kämpfen.

Klar, dass das zu Problemen führt. Denn Doss weigert sich weiterhin, zu schießen, ja das Gewehr auch nur zu berühren. Fortan macht man ihm in der Grundausbildung das Leben schwer: Seine Vorgesetzten Captain Glover (Sam Worthington) und Sgt. Howell (Vince Vaughn) bedrängen ihn zu gehen; Kameraden wie Smitty (Luke Bracey) schlagen, beleidigen und mobben ihn. Antikriegsfilme wie "Apocalypse Now" lassen grüßen. Allein: Obrigkeitskritisch ist Mel Gibsons vierte Regiearbeit sicher nicht. Denn Dess will kämpfen, will die Japaner besiegen, will für sein Land patriotisch auf dem Schlachtfeld sterben. Nur eben ohne Waffe in der Hand.

Bevor sich das ambivalente Vorspiel im Gewäsch verliert, darf Dess als Sanitäter doch noch an die Front. Und beweist an der berüchtigten titelgebenden Riesenklippe im Pazifik, dass er aufopferungsbereit zur Rettung seiner Kameraden über sich hinaus wächst. Anstatt Leben zu nehmen, rettet er in der berühmten Schlacht von Okinawa Hunderte. Diese beeindruckenden historischen Geschehnisse - wenn auch vollends pathetisch - in Szene zu setzen, ist das erste Verdienst Gibsons. Das zweite ist eines, das den Zuschauer die öden Gebete und Motivationssprüche sowie die markige Inszenierung der "Du kannst alles schaffen"-Ideologie schnell vergessen lässt: So eindrucksvoll war der Schrecken des Krieges seit "Der Soldat James Ryan" nicht mehr auf der Leinwand zu sehen.

"Hacksaw Ridge" schmeißt den Zuschauer mitten ins grausige Schlachten; in schnittlosen Fahrten blickt die Kamera auf eine blutgetränkte Szenerie, in der tabu- und erbarmungslos draufgehalten wird: herausfallende Gedärme, spritzendes Hirn, durch die Luft wirbelnde Gliedmaßen, dazu markerschütternde Schreie und quälend lange Todeskämpfe; mittendrin der schlaksige Held, der das Unmögliche versucht - selten war in einer Fiktion die Verletzlichkeit des menschlichen Körpers angesichts der Menschheitserfindung Krieg so offenbar. Das wirkt teilweise unerträglich, beängstigend, würderaubend und entblößend. Und zugleich unendlich beeindruckend, mitreißend und ästhetisch kompromisslos. Woran Gibson dabei nun glaubte und dachte, ist tatsächlich schnell egal.

Von Maximilian Haase