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"Wir"
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 21.03.2019
Regisseur: Jordan Peele
Schauspieler: Lupita Nyong'o, Elisabeth Moss, Anna Diop
Entstehungszeitraum: 2019
Land: USA
Freigabealter: 16
Verleih: Universal Pictures
Laufzeit: 120 Min.
Doppelt hält schlechter
Bereits mit seinem ersten Spielfilm, der Horrorsatire "Get Out" (2017), landete der als Komiker bekanntgewordene Jordan Peele einen Volltreffer. Die Kritiker überschütteten den unheimlichen Streifen mit Lobeshymnen, und bei Produktionskosten von rund 4,5 Millionen Dollar spielte der Film sagenhafte 255 Millionen Dollar ein. Noch dazu durfte Regiedebütant Peele einen Oscar für sein clever arrangiertes Drehbuch entgegennehmen, das bissig und gewitzt den Rassismus in der US-Gesellschaft beleuchtet.

Angesichts dieser Superlative stiegen die Erwartungen an Peeles zweite Arbeit rasch in die Höhe. Mit "Wir" wildert der Afroamerikaner nun erneut in düsteren Gefilden und lässt es sich abermals nicht nehmen, eine scheinbar konventionelle Prämisse um sozialkritische Töne und diverse symbolische Verweise anzureichern. Seine vielen Ideen kriegt der Regisseur dabei vielleicht nicht komplett unter einen Hut. Spannend und reizvoll ist sein schräger Horrorthriller aber trotzdem.

Urlaub mit Hindernissen

Am Anfang steht - wie in so vielen Gänsehautfilmen - der Aufbruch einer Familie in ein Landhaus. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Gabe (Winston Duke) und ihren Kindern Zora (Shahadi Wright Joseph) und Jason (Evan Alex) will Adelaide Wilson (Lupita Nyong'o) die Ferien in der Nähe der kalifornischen Küstenstadt Santa Cruz verbringen. Schon kurz nach ihrer Ankunft beschleicht die junge Frau allerdings ein ungutes Gefühl. Die grauenhafte Erfahrung, die Adelaide als kleines Mädchen an eben diesem Ort in einem Spiegelkabinett auf einem Jahrmarkt gemacht hat, verfolgt sie bis heute. Ihre Befürchtungen verdichten sich zu handfester Panik, als in der Nacht plötzlich vier in Rot gekleidete Gestalten vor dem Anwesen der Wilsons stehen. Zum Entsetzen der Bewohner sind die ungebetenen Gäste ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten.

Der Angriff auf das Eigenheim, in dem man sich eigentlich sicher fühlen sollte, ist eine Standardsituation des Horrorkinos. Peele verpasst ihr jedoch einen interessanten Dreh, indem er die sympathisch gezeichneten Protagonisten auf furchteinflößende Doppelgänger treffen lässt. Ein simpler, aber kluger Schachzug, der schon allein deshalb Unbehagen erzeugt, weil die Überzeugung, ein einmaliges Individuum zu sein, von einer Sekunde auf die andere ins Wanken gerät. Die Eindringlinge stellen die Identität der Wilsons infrage und wollen die Familie offenbar um jeden Preis auslöschen.

Gänsehaut garantiert

Das knisternde Gruselklima, das schon der im Jahr 1986 spielende Prolog heraufbeschwört, entlädt sich beim Einbruch in das Haus auf fulminante Weise. Die Begegnung mit den aggressiven Ebenbildern und die Fluchtversuche treiben den Puls ein ums andere Mal nach oben, ohne dass Peele dafür ständig krachende Geisterbahneffekte bemühen müsste. Besonders wirkungsvoll sind die mitunter gespenstischen Bewegungen der Kamera (verantwortlich: Mike Gioulakis), die den Nervenkitzel immer wieder befeuern. Förderlich ist freilich auch das mitreißende Spiel der in Doppelrollen agierenden Hauptdarsteller, denen das Drehbuch vollkommen gegensätzliche Darbietungen abverlangt.

Ähnlich wie in "Get Out" baut der Regisseur ständig Gags und ironische Spitzen in die Dialoge und die Handlung ein. Viele Witze funktionieren gut. Auf manche Spaßeinlagen hätte Peele allerdings verzichten können, da sie die unheimliche Stimmung vielleicht einen Tick zu sehr aufbrechen. Ungewöhnlich und ambitioniert ist zweifellos die Fülle an popkulturellen Anspielungen und gesellschaftlichen Beobachtungen, die permanent in die Geschichte einfließen. Der kreative Kopf hinter "Wir" will sein Publikum nicht nur erschrecken und zum Lachen bringen, sondern auch zum Mitdenken animieren.

Hinter der Doppelgänger-Bedrohung kommt eine rätselhafte Erzählung zum Vorschein, in der es um die tiefe Spaltung der USA, die Wut der Abgehängten und Unterdrückten und die Angst vor dem Fremden geht. Am Ende fallen zwar nicht alle Puzzleteile sauber an ihren Platz, und ein wenig bleibt die Wucht der abschließenden Wendung auf der Strecke. Jordan Peeles selbstbewusster Umgang mit den Regeln des Horrorgenres ist dennoch absolut bemerkenswert.

Von Christopher Diekhaus