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"Schönheit & Vergänglichkeit"
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 05.12.2019
Regisseur: Annekatrin Hendel
Schauspieler: Sven Marquardt
Entstehungszeitraum: 2019
Land: D
Freigabealter: k.A.
Verleih: Real Fiction
Laufzeit: 79 Min.
Porträt des Türstehers als junger Künstler
Wer in den legendärsten Technoclub der Welt will, muss an ihm vorbei: Sven Marquardt. Der Ost-Berliner, tätowiert, gepierct, bärtig und schwule Ikone der Szene, wurde als Türsteher des Berliner Berghains bekannt, ja: weltberühmt. Dass der 57-Jährige jedoch viel mehr ist als "nur" der abgefahrene Typ an der härtesten Tür überhaupt, nämlich Künstler, Fotograf und kreativer Freigeist par excellence, wussten noch vor kurzer Zeit nur wenige. Durch große Ausstellungen seiner Werke und Abdrucke in Magazinen änderte sich das aber in den letzten Jahren. Nun erzählt nach dem Film "Berlin Bouncer", der dem Türsteher Marquardt und seinen Kollegen ein Denkmal setzte, mit "Schönheit & Vergänglichkeit" ein Kinofilm von jener künstlerischen Seite des Ex- und Irgendwie-noch-immer-Punks, die ihn eigentlich definiert. Die minimalistisch inszenierte und intime Doku von Annekatrin Hendel begleitet Marquardt bei seiner kreativen Neuerfindung als Fotokünstler, aber etwa auch als Lehrer an einer Fotoschule.

Doch nicht nur das. Hendels Film ist vor allem eine Hommage an die Subkultur des alten Ost-Berlin. In den letzten Jahren der DDR dokumentierte Marquardt als junger Punk und Goth in herausragenden Schwarz-Weiß-Fotografien den musikalischen und künstlerischen Untergrund, der sich der Kontrolle von Staat und Stasi zu entziehen versuchte. Gemeinsam mit seinen damaligen Begleitern Dominique "Dome" Hollenstein und Robert Paris lässt er im Film, nicht ganz frei von nostalgischer Schwärmerei, jene wilde und freie Zeit Revue passieren. "Das war doch direkt eine Parallelwelt, wo wir gelebt haben. Das war doch eine Blase", erinnert sich Dome, die umgeben von romantischem Interieur in ihrer Altbauwohnung noch immer in einer kleinen Traumwelt zu leben scheint.

Träumer, die Hoffnung machen

Es ist faszinierend zu hören und in Archivaufnahmen auch zu sehen, wie inmitten des disziplinierenden Staatsapparats der DDR eine Szene brodelte, die später den Grundstein für die unendlichen Möglichkeiten des Nachwende-Berlins bilden sollte, von denen die Hauptstadt heute noch zehrt. Nicht minder aufregend der fotografische Blick des jungen Marquardt auf diese Subkultur - etwa in seinen oft erotisch konnotierten Porträts seiner Freunde Dome und Paris. Ein wenig konstruiert dagegen wirkt das Vorhaben des gealterten Marquardt, diese Bilder der einstigen Begleiter heute neu zu inszenieren - ein Plan, der andererseits aber einen hochinteressanten Einblick in seine Arbeitsweise bietet.

Warum er Fotograf gelernt habe, fragt ihn Regisseurin Hendel an einer Stelle. "Es schien nicht ganz so einengend zu sein", antwortet Marquardt in dem Film, der auch als eine Hommage an Menschen wie ihn gelesen werden darf - Menschen, die man früher als Bohemiens oder Exzentriker bezeichnet hätte und die in jeder Gesellschaft, ob nun sozialistisch oder kapitalistisch, zu den Außenseitern gehörten. Dass es diese freiheitsliebenden Träumer, so naiv sie sein mögen, auch in einer hochverwalteten und begrenzenden Welt schaffen können, macht Hoffnung.

Von Maximilian Haase